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Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall

Titel: Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
Autoren: Tom Hillenbrand
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Essen, im Gegenteil. Als er in den Neunzigern Souschef im angesagten Fischrestaurant »La Houle« gewesen war, hatte der Sushiboom Paris bereits voll erfasst. Viele seiner Stammkunden waren desertiert, weil sie statt Hummer oder Austern plötzlich lieber Sashimi und Thun-Nigiri essen wollten. Irgendwann hatte der Geschäftsführer des »La Houle« deshalb eine eigene Sushibar einrichten lassen und einen japanischen Shokunin eingestellt, einen speziell ausgebildeten Koch. Insofern wusste Kieffer einigermaßen Bescheid.
    »Ich höre, Mifune ist sehr gut«, sagte er vorsichtig. »Er soll ein Traditionalist sein. Also vermutlich eher keine California Rolls mit Mayonnaise heute Abend.«
    »Ich verstehe.« Cesar Lee Willinon nickte und strich sich durch seinen Bart. Dann brach es aus ihm heraus.
    »Tradition ist cool, aber Frische ist das Wichtigste, wissen Sie? Ganz frische Seeigel zum Beispiel, ich liebe sie! Wir bekommen in meinem Restaurant alles direkt vom Tsukiji, dem Tokioter Fischmarkt. Fliegen es selbst ein«, sagte der Kalifornier und nippte an seinem Sake. »Sie sollten mal bei uns reinschauen, Xavier.«
    »Mache ich, wenn ich das nächste Mal an der Westküste bin«, erwiderte Kieffer.
    »Großartig! Die Meinung eines französischen Kochs zu unseren Produkten, das würde mich wirklich interessieren.«

    »Nein, also verzeihen Sie, ich hatte mich nicht richtig vorgestellt«, sagte Kieffer. »Ich bin kein Franzose, sondern Luxemburger.«
    »Wirklich? Faszinierend. Das hätte ich gar nicht gedacht. Ihr Französisch ist so makellos. Sie haben ja überhaupt keinen Akzent, obwohl Sie Deutscher sind.«
    Zu Kieffers Erleichterung kam in diesem Moment der erste Gang. Es gab Sashimi aus hauchdünn aufgeschnittenem Wildlachs, den Mifune kurz vor dem Servieren mit siedendem Sesamöl beträufelt hatte, sodass die Oberseite der Fischstücke leicht angegart war.
    »Was denken Sie, Xavier?«, fragte Willinon eine Spur zu laut, womit er die Blicke der umliegenden Gäste auf sich zog.
    »Makellos«, erwiderte Kieffer, nachdem er gekostet hatte. Es war in diesem Fall nicht nur die geboten höfliche Antwort, sondern gleichzeitig auch die Wahrheit. Er ließ sich ein weiteres Stück Lachs auf der Zunge zergehen. Die Vorspeise war sehr simpel, aber auch sehr gut. Perfekte Zutaten, perfekte Zubereitung – vielleicht hatte Valérie recht und dies war ein Menü, wie man es höchstens alle paar Jahre serviert bekam.
    Kieffer beobachtete Ryuunosuke Mifune bei der Arbeit. Der Sushimeister stand hinter seiner quer vor dem Kopfende der Zederntafel aufgestellten Arbeitsplatte, gut zehn Meter von ihm entfernt. Er war gerade dabei, eine Wasabiknolle über ein mit rauer Haifischhaut bespanntes Holzbrett zu raspeln. In den meisten modernen Küchen wurde dafür heutzutage eine Edelstahlreibe verwendet, aber Mifune arbeitete nach der althergebrachten japanischen Methode. Dann füllte der Koch den geriebenen Rettich in mehrere Schälchen und bedeuteteseinem Assistenten, ihm einige vorgekochte Oktopusstücke zu reichen. Mifune betrachtete nun prüfend die Tentakel. Einen Moment lang schien er zu stutzen, bevor er begann, den Tintenfisch in kleine Sushihäppchen zu schneiden.
    Kieffer fiel auf, dass Mifune sich wie ein Roboter bewegte. Er stand mit durchgedrücktem Kreuz an seiner Arbeitsplatte und hackte mehr, als dass er schnitt. Japaner mochten nach landläufiger Meinung besonders steife und formelle Gesellen sein. Tatsächlich traf das auf die guten Sushiköche, die Kieffer bisher erlebt hatte, nicht zu. Ruhig und kontrolliert verrichteten sie ihre Arbeit, bewegten sich dabei aber so geschmeidig wie chinesische Schattenboxer.
    Mifune hingegen stakste durch seine Küche wie ein aufgezogener Blechkamerad. Kieffer legte seine Hand auf den Unterarm von Valérie, die gerade mit dem zu ihrer Linken sitzenden deutschen Umweltminister plauderte.
    »Was ist?«
    »Achte mal auf Mifune«, flüsterte er ihr zu, »irgendwas stimmt mit dem nicht.«
    Valérie wollte etwas erwidern, doch als ihr Blick auf den Sushimeister fiel, verstummte sie. Mifune stand immer noch hinter seiner Arbeitsplatte, das schmale Yanagi-Filetiermesser in der Rechten. Doch er hatte aufgehört, Fisch zu schneiden. Stattdessen stand er kerzengerade vor seiner Mise en place, den Kopf leicht gesenkt, den starren Blick auf die vor ihm liegenden Oktopusarme gerichtet.
    Die anderen Gäste waren ins Gespräch vertieft oder genossen ihr Sashimi. Sie schienen von Mifunes merkwürdigem Verhalten
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