Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub
Autoren: Paul J. McAuley
Vom Netzwerk:
Lichtstrahl aus
einem hochgelegenen schmalen Fenster fiel über die Reihen, fiel
hinab auf einen reich gemusterten Flecken Teppichs, nicht
größer als eine Hand.
    Lee, der niemals den Dreh des Subvokalisierens bemeistert hatte,
murmelte: »Du bist kompromißlos hier?« Der
Bibliothekar hatte jetzt seit zwei Wochen gearbeitet, war einen
langen Weg vom gewöhnlichen Datenzugriffs-Bereich hin zu
Undefinierten Regionen gegangen. Bislang war, aufgrund irgendeines
Wunders, seine Integrität nicht überprüft worden.
    Der Bibliothekar sagte: »Ich mußte einen Wächter
töten, aber ich glaube, es ist nicht bemerkt worden.«
    Mit der Schutzbrille und dem Kopfhörer als einzigem
sensorischen Input war sich Lee der schwachen Wärme des weichen
Staubs bewußt, auf dem er saß, der Berührung durch
kalte Luft auf seinem Gesicht. Der Bibliothekar war lediglich eine
fiktive Schnittstelle; dennoch verspürte Lee einen Keim von
Furcht, als er fragte: »Ist das nicht illegal? Zeig’s
mir.«
    Der Bibliothekar legte die Hände zusammen, Fingerspitze gegen
Fingerspitze.
    Und jäh raste ein Wurm einen unendlichen Korridor zwischen
Bücherstapeln zu Lee hinab. Obgleich er sich mit furchtbarer
Geschwindigkeit bewegte, schien er sich ebenfalls um einen einzigen
fixen Punkt zu winden. Jetzt zeigte er die roten gezackten Schuppen
auf seinem Rücken, jetzt den bleichen Bauch. Seine goldenen
Augen waren riesig unter gebogenen Brauen; sein Mund klaffte inmitten
von Stoppeln, eine ausgedehnte gähnende Höhle, umringt von
rasiermesserscharfen Wülsten. Lee sah, wie seine Hände eine
Seite aus dem Buch rissen, das er trug, wie sie diese
zerknüllten und sie in den Magen des Wurms warfen: es gab einen
lautlosen Blitz, und der Wurm verschwand.
    »Das war vor zehn Tagen«, sagte der Bibliothekar.
»Ich bin weitergereist, bis ich diesen Ort hier erreicht habe,
und jetzt werde ich den Versuch unternehmen, in die Datenfiles
einzudringen. Sie sind sehr alt, wie du siehst.«
    »Zehn Tage?« Lee hatte erst an diesem Morgen Zugriff auf
den Bibliothekar genommen.
    »Für uns ist die Zeit nicht dieselbe«, sagte der
Bibliothekar. »Herr, du hast mir eine schwierige Aufgabe
gestellt, und ich bin lange und schwierige Straßen gefahren im
Versuch, sie zu erfüllen. Ich überlege, ob ich dir eine
Frage stellen kann?«
    »Es wäre eine Ehre für mich.«
    »Herr, was wirst du tun, wenn ich herausfinde, was deinen
Eltern zugestoßen ist?«
    »Sobald du herausgefunden hast, wo sie sind, werde ich zu
ihnen gehen, natürlich! Mein Urgroßvater weiß alles
über sie, würde mir jedoch nie etwas sagen, also habe ich
mir geschworen, daß ich sie selbst finde. Er hat gesagt, es
sei, um mich vor dem verderblichen Einfluß meiner Eltern zu
schützen, die für die Himmelsfahrer Sympathien
zeigten…«
    »Vielleicht, Herr, hatte er andere Gründe. Aber wenn du
deinen Urgroßvater bekämpfst, der ein mächtiger Mann
ist, wirst du mit Sicherheit ein Ausgestoßener werden. Was
dann? Ich frage lediglich, weil es oftmals der Fall ist, daß
die Persönlichkeit des Kindes ein Spiegelbild seiner Eltern ist.
Wenn ich dich besser kennte, könnte ich meine Aufgabe
beschleunigen.«
    Lees Geduldsfaden war dünn geworden. »Mein
Urgroßvater ist einer der Zehntausend, das stimmt, aber ich bin
nur ein Agro-Techniker. Was habe ich zu verlieren? Du findest sie!
Mehr erbitte ich nicht! Anschließend brauchst du dir um mich
keine Sorgen zu machen. Wer kann sagen, was die Zukunft
birgt?«
    »In der Tat, wer, Herr?« Der Bibliothekar verbeugte sich
erneut und fügte hinzu: »Jemand wünscht mit dir zu
sprechen.«
    Als Lee die Schutzbrille abstreifte, sagte Guoquiang: »Du
hast mich mit deinem Rufen aufgeweckt. Was hast du getan? Es ist
nicht an der Zeit, Ma Zizhens Traumgirls einen Besuch
abzustatten.«
    »Nur mit Ton und Bild hätte das nicht viel Zweck«,
sagte Lee.
    »Oh, am Gucken ist nichts falsch. Oder Reden, was das
betrifft. Ich tu’s die ganze Zeit über. Es ist
gesund.« Guoquiang grinste. »Da du jetzt hier einen Winter
hinter dir hast, wirst du wissen, warum.«
    »Wei Lee braucht keine Brille und keine geballte Faust«,
sagte Xiao Bing. »Er hat in einem Winter mehr Glück gehabt,
als du seit deinem ersten Ständer.«
    »Exogamie ist ein starker Antrieb«, sagte Guoquiang.
»Wei Lee sollte das nicht ausnutzen. Ich verlasse mich auf
meinen natürlichen Charme, nicht auf Haarcreme und
Zitherspielen.«
    »Es ist eine Gitarre.«
    »Natürlich«, sagte Guoquiang. »Zuerst rockst
du, dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher