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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub
Autoren: Paul J. McAuley
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rollst du. Und fangen du und Li Mei damit an, Kindersteuer
zu zahlen.«
    Lee errötete, und Guoquiang lachte. »Unter den
Bürgern gibt es keine Geheimnisse, wenigstens nicht im Winter.
Komm schon, wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
    Innerhalb von zwei Minuten hatten sie gepackt und waren wieder
unterwegs. Sie stiegen einen Hang mit losen Steinen und gefrorenem
Staub empor, der sich bis zum Horizont erhob, wo ein rechteckiger
Findling, so groß und schwarz wie eine Lokomotive, gegen den
rosafarbenen Himmel abstach.
    Sie stiegen eine zusammengestürzte Klippe in Richtung auf die
erste Terrasse des uralten Flußtals empor. Vor drei Milliarden
Jahren hatte ein breiter Strom das Rote Tal ausgefräst, hatte
einen Kanal geschnitten, der an dem Punkt, wo er die Tiefländer
der Ebene des Goldes erreichte, einen Kilometer tief und drei
Kilometer breit war. In den vergangenen paar Jahrhunderten hatte die
Erwärmung der Welt erneut damit angefangen, Wasser aus den
wasserhaltigen Schichten des Ödlands zu lösen, jedoch nur
genügend, um ein träge fließendes Wässerchen zu
erzeugen, weiß von Salzen, das im Winter völlig
austrocknete. Jetzt war es Frühling, aber der alkalihaltige
Fluß, welcher dem Danwei von Bitterwasser seinen Namen
gegeben hatte, hatte noch nicht angefangen zu fließen. Ein
schlimmes Omen.
    Auf halben Weg den Hang hinauf drehten sich die Kader wie ein Mann
um und sahen die Siedlung, umrahmt von den roten Wänden des
Tals, klein und fern. Kuppeln glitzerten in dem strahlenden
Sonnenlicht. Stufenförmige Klippen stiegen auf der anderen Seite
des umsponnenen Flußkanals zu der von Kratern
übersäten Hochebene auf.
    Die drei grinsten einander an, und dann liefen sie. Lee zerrte am
Halfter des Bacts, bis es in einen trägen, x-beinigen Trott
verfiel. Freiheit. Jäh verspürten sie sie. Ihre
Füße traten trockenen Staub hoch in die stille Luft, und
als sie alle den Gipfel erreicht hatten, drehten sie sich um und
sahen weit den Hang hinab auf eine treibende rote Fahne. Sie
verdrehte sich zu drei Seilen, die auf den Kamm wiesen, wo sie
standen und keuchend nach Atem rangen.
    Lee plapperte los, sobald er wieder Luft bekommen hatte. Er bat
seine Freunde, sich die in Pinienwälder und dunkelgrünen
Rhododendron eingehüllten Terrassen vorzustellen.
Weideländer zu beiden Seiten eines klaren Flusses, einen
Wasserfall, der in einen schäumenden Teich hinabstürzte.
Wasser, das war alles, was sie brauchten: das Wasser, eingeschlossen
in den Polen und in den weiten Dauerfrost-Reservoirs, ungenutzt, weil
die Erwärmung der Welt fehlgeschlagen war. Es konnte noch immer
geschehen. Es war nicht zu spät.
    »Wei Lees Genotyp drückt sich mal wieder aus«,
sagte Xiao Bing, als Lee innehielt, um Atem zu schöpfen, und
Guoquiang lachte. Beide hatten sie diese Himmelsfahrer-Propaganda
oftmals gehört; Lee hatte ihnen von seiner Erziehung und
Verwahrung erzählt, der Verpflichtung seinem Urgroßvater
gegenüber, die er nicht vergessen konnte. Obgleich Xiao Bing
für Lee den Bibliothekar geschrieben hatte, hielt er Lees Flucht
vor den Privilegien für romantisch; Guoquiang war
spöttischer, aber sein Spott war gemäßigt durch die
Achtung vor Lees Erziehung. Einmal eine Beziehung zu einem der
Zehntausend Jahre, immer eine Beziehung. Trotz des Danwei-Ethos des demokratischen Kapitalismus behielten seine Anteilseigner
einen Respekt für Abstammung bei.
    Lee seufzte. Er sagte: »Ich wurde in dem Glauben aufgezogen,
daß die Aufgabe vollendet würde, was jedoch nicht
bedeutet, daß es wahr werden wird.« Er hatte die
ärgerliche Unsicherheit fast vergessen, welche die Fragen des
Bibliothekars aufgerührt hatte. Wie wenig zählte sein
eigenes Schicksal im Vergleich zum Schicksal der Welt!
    »Das ist Himmelsfahrer-Geschwätz, Wei Lee«, sagte
Guoquiang ernst. »Du weißt das. Nach dem, was deinen
Eltern zugestoßen ist, mußt du das wissen. Dein
Urgroßvater kann glauben, was er will. Das ist das Privileg der
Zehntausend Jahre. Aber du…«
    »Wenigstens kann ich mit euch Burschen reden.«
    »Besser, nicht darüber zu reden«, sagte Guoquiang.
»In einhundert Jahren sind wir vielleicht allesamt Himmelsfahrer
und singen Tag und Nacht die Songs des ›King of the Cats‹.
Aber es ist nicht wahrscheinlich. Du weißt, was der letzten
Kammer von Direktoren zugestoßen ist, vor zehn Jahren. Dank Yi
Shihuang sind wir alle dem Goldenen Pfad anvertraut. Und so muß
es bei dir auch sein, selbst als Angestellter.«
    »Vielleicht«,
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