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Roter Regen

Titel: Roter Regen
Autoren: Michael Moritz
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können.
    Mit geschlossenen Augen dachte sie an Thomas und daran, wie sie ihn
im Lavendelfeld verführt hatte. Sie musste laut lachen. Es war wahnsinnig
kitschig gewesen. Aber nach all den Jahren tristen Alltags schämte sie sich
nicht dafür. Allmählich begann sie wieder zu leben. Und wenn sie dabei manchmal
peinlich war wie ein Backfisch, na und? In diesem Moment war sie froh, dass
Swintha nun in Berlin lebte. Dann konnte sie sich selbst aufführen wie eine
Erstsemesterstudentin, ohne dass sie sich vor irgendjemandem rechtfertigen
musste.
    * * *
    Belledin tupfte sich mit der Serviette die Jägersoße aus dem
Schnäuzer und kämpfte mit der Zunge gegen ein Stück Sehne, das sich zwischen
zwei oberen Backenzähnen festgesetzt hatte. Killian schob ihm das Glas mit den
Zahnstochern hin. Belledin schnalzte dankbar mit der Zunge. Britta räumte die
abgegessenen Teller ab und fragte geschäftig, ob die Herrschaften noch einen
Nachtisch, Espresso oder einen Schnaps begehrten. Killian wehrte dankend ab,
Belledin verzichtete lediglich auf den Schnaps.
    »Im Dienscht«, murmelte er entschuldigend.
    Als hätten ihn seine Worte daran erinnert, dass er einen Mordfall zu
lösen hatte, konzentrierte er sich wieder auf die Damengruppe, die er auf dem
Friedhof gesehen hatte. Die Frauen saßen direkt hinter Killian. Der bemerkte,
dass Belledin über seine Schulter hinweg etwas fixierte, und drehte sich in
dessen Blickrichtung um.
    »Trauergäste«, brummte der Kommissar. »Der Tote kannte viele Frauen.
Beneidenswert.«
    »Dass er viele Frauen kannte oder dass er tot ist?«, fragte Killian
trocken.
    Belledin nahm den Fokus von der Frauengruppe und stellte wieder
Killian scharf. »Ich lebe ganz gerne. Aber dass du lebensmüde bist, das weiß
ich. Da braucht man nur deine Fotos anzuschauen. Hattest du nie Angst?«
    »Ich hatte nur eine Angst. Hier zu ersticken.«
    »Und warum bist du dann wieder zurückgekommen?«
    »Das frage ich mich, seitdem ich wieder hier bin.«
    »Du solltest in Therapie«, konstatierte Belledin.
    »Mein Therapeut ist ermordet worden, noch bevor ich die erste Sitzung
bei ihm hatte.« Killian lächelte ironisch.
    Belledin zog seine buschigen Brauen hoch. »Der hätte dir nicht
helfen können, glaub mir. Du brauchst was Richtiges. Keinen Heilpraktiker,
sondern einen knallharten Psychiater, der selbst jahrelang in Therapie gewesen
ist und sein Fach ordentlich studiert hat. Ich wette, die Weiber dort drüben
sind auch alles Heilpraktikerinnen. Gelangweilte Hausfrauen, die sich in der
Lebenskrise befinden. Und weil sie mit sich selbst nichts anfangen können,
glauben sie, anderen mit Küchenpsychologie, die sie in Kursen für teures Geld
erworben haben, helfen zu können. Dabei helfen sie damit nur sich selbst, weil
sie sich durch ihre Scheinhilfe ein gutes Gefühl besorgen.«
    »Helpers High.«
    »Was?«
    »Helpers High nennt man das. Eine Art Rauschzustand, wenn man
jemandem geholfen hat. Die Triebfeder jeglicher Nächstenliebe.«
    Britta brachte drei Kugeln Schokoladeneis mit Sahne und einen
Espresso dazu. Belledin schaufelte sofort die Sahne vom Eis und bugsierte sie
in den Espresso. Britta verdrehte die Augen und wandte sich dann zu Killian.
    »Du bisch doch Fotograf, oder? Ich bräucht Bewerbungsfotos, machsch
du so was?«
    Belledin musste sich so das Lachen verbeißen, dass ihm die halbe
Kugel Eis vom Löffel aufs Hosenbein plumpste.
    »Willst du hier aufhören?«, fragte Killian, um Luft für eine
Strategie zu gewinnen, geschickt abzusagen und Britta dabei nicht zu
verprellen.
    Sie warf ihren Kopf ins Genick und lachte so laut, dass die anderen
Gäste sich nach ihr umdrehten und Belledin vor Schreck sein zweites Hosenbein
mit Schokoladeneis vollkleckerte. »Mich bringsch hier erscht im Sarg raus. Ich
bin im negschte Jahr zwanzig Jahr hier, und wenn’s de Chef packt, au noch die
negschte zwanzig … henei, ich bräucht die Fotos für d’ Sandra … die isch jetzt grad
fertig worre mit de Lehr und würd gern in ihrem Beruf weiterarbeite, wird aber
nit übernomme.«
    Killian versuchte so interessiert wie möglich zuzuhören, war aber
darüber gestolpert, dass Britta seit fast zwei Jahrzehnten in diesem Wirtshaus
bediente, während er in derselben Zeit die ganze Welt abgegrast hatte. Vor über
zwanzig Jahren hatten sie eine Nacht im Schwimmbad miteinander verbracht, und
nun fragte Britta ihn, ob er Bewerbungsfotos für ihre Tochter schießen könnte.
Kurz wurde ihm übel. Er war schon im Januar unverhofft zu
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