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Roter Regen

Titel: Roter Regen
Autoren: Michael Moritz
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dabei seine Kutte auf einen
geflickten Ledersessel, legte die Rolleiflex ab und steuerte auf die kleine
Küche zu.
    »Kaffee, danke.« Bärbel stand verloren im Raum. Es war das erste
Mal, dass sie Killian hier besuchte, seitdem er wieder im Lande war. Zwar hatte
sie Swintha manchmal abgeholt, als sie hier das Praktikum absolviert hatte,
aber hereingekommen war sie nie. Sie hatte sich davor gefürchtet. So sehr sie
Killian zu kennen glaubte, so sehr flößte er ihr manchmal auch Angst ein. Sie
kannte seine Bildbände vom Kosovo und aus Somalia. Und die Fotos waren
schrecklich, allesamt. Wer so ins Elend des Krieges eingetaucht war, konnte
nicht unbefleckt davonkommen. So wie Killian die Kamera benutzte, gab sie ihm
keinen Schutz, sondern glich einem Seelenbrennglas. Und die Spuren davon
spiegelten sich in seinen Augen wider. Er hatte schon früher diesen traurigen
Blick gehabt, der nur verschwand, wenn sich sein Schalk hervordrängte. Aber der
Schalk blitzte nur noch selten auf. Es schien, als habe er ihn an Swintha
abgegeben und nur noch die Trauer behalten.
    »Hast du was von Swintha gehört?«, fragte Bärbel.
    »Das wollte ich dich fragen.« Killian kam mit einem verbeulten
Tablett zurück, auf dem sich neben dem Espresso für Bärbel auch eine Schale mit
Würfelzucker und eine Tasse mit heißem Wasser befanden. Er stellte es auf das
Tischchen neben dem Sofa und schubste ein paar Klamotten von dem gemütlichen
Möbel. Bärbel setzte sich an ein Ende und nahm sich den Kaffee, während sich
Killian am anderen Ende des Sofas niederließ.
    »Komme mir hier drauf vor wie bei Loriot«, versuchte Bärbel zu
frotzeln.
    Killian zuckte mit den Schultern. Ihm war nicht nach Schlagabtausch,
obwohl es ihm mit Bärbel sonst immer Freude machte. »Warum bist du hier?«,
fragte er.
    »Thomas Hartmann wurde ermordet.«
    »Ich weiß.«
    Bärbel warf sich zwei Zuckerstücke in den Espresso und sah ihnen
dabei zu, wie sie sich auflösten. »Ich habe es erst jetzt erfahren. Auf dem
Seminar in der Toskana hat er mir am Tag, bevor er abgereist ist, gesagt, dass
ich ihm viel Glück wünschen solle, er würde es brauchen.« Bärbel stockte,
atmete tief durch.
    »Wie gut kanntest du ihn?«, fragte Killian.
    »Was meinst du damit?«
    »Er war dein Dozent. Wenn ich an einer Hochschule ein Seminar halten
würde, dann würde ich zu keiner meiner Studentinnen etwas in der Art äußern.«
Killian hob die Brauen und wartete, dass Bärbel ihm antwortete.
    Sie fuhr sich durchs Haar, schüttelte den Kopf und lachte dann
hysterisch auf. »Dieses Sofa macht mich fertig. Das hat nicht nur etwas von
Loriot, sondern auch von Talkshow und Psychiater.« Sie sprang auf und streifte
im Atelier hin und her wie eine kampflustige Wildkatze.
    Killian ließ sie. Er wusste um ihr Temperament und musste sich auf
die Unterlippe beißen, um nicht zu grinsen; denn das wäre der größte Fehler,
den er jetzt machen könnte. Er wusste, wie sehr sie sich davor gescheut hatte,
ihn hier in seiner Höhle aufzusuchen. Also musste es für sie sehr wichtig sein.
Ein schlechter Witz oder eine verräterische Grimasse wären völlig unangemessen
und verletzend. Aber er hatte schon immer in den tragischsten Situationen laut
lachen müssen.
    Ansatzlos drehte sie ihren Kopf in seine Richtung, als wollte sie
ihn bei einem falschen Gesichtsausdruck ertappen; aber er hatte vorgesorgt,
auch wenn seine Lippe bereits blutete. Er konnte es sich nicht leisten, mit
Bärbel auf Kriegsfuß zu stehen. Abgesehen davon, dass er sie noch immer sehr
mochte, war sie die Mutter seiner Tochter. Und obendrein einer der wenigen
Menschen, die ihn vielleicht verstanden.
    »Es hatte sich schon länger angebahnt … er war mir sofort
sympathisch«, begann Bärbel nach den passenden Worten zu suchen, während sie
noch immer mit unruhigen Schritten im Atelier umherging. »Und auf dem Seminar
in der Toskana ist es dann passiert … im Lavendelfeld.«
    Das war zu viel für Killian. So fest konnte er sich gar nicht auf
die Lippe beißen. Er prustete heraus und versuchte sich in einen gespielten
Hustenanfall zu retten, dann sprang er vom Sofa, eilte zur Küche und drehte den
Wasserhahn auf. Ein kalter Strahl schoss ihm über Hinterkopf und Nacken.
    Er trocknete sich mit einem Geschirrtuch ab und kehrte zu Bärbel
zurück. »Entschuldige, aber ich habe mir bei dem Sauwetter wohl eine Bronchitis
zugezogen. Manchmal bricht der Husten einfach aus, da kann ich gar nichts
dagegen tun.«
    Bärbel nickte beruhigt,
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