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Roter Regen

Titel: Roter Regen
Autoren: Michael Moritz
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hatte sich Belledin aus
Trotz ein paar Zusatzpolster zugelegt.
    »Hast du schon zu Mittag gegessen?«, fragte er zu seiner eigenen
Überraschung. Der Gedanke ans Abnehmen machte ihn sofort hungrig. Killian
schüttelte verneinend den Kopf.
    »Ich lade dich ein. Und du erzählst mir, wie es an der Front war.
Natürlich nur das, was du erzählen darfst«, lächelte Belledin kalt.
    Wenn Killian bloß selbst wüsste, wovon er erzählen durfte und wovon
nicht. Schließlich war er genau um dieser Frage willen hier. Er hatte sich
Hilfe von dem angepriesenen Heilpraktiker versprochen; aber der war tot, noch
ehe Killian auch nur eine einzige Frage an ihn richten hatte können. Immer
wieder war es der Tod, der ihm begegnete und ihn anschwieg. Fast glaubte
Killian, dass der Heilpraktiker hatte sterben müssen, weil er ihn konsultieren wollte. Es schien die Einlösung
eines unausgesprochenen Paktes zu sein. Der Tod hatte sich von Killian auf den
Schlachtfeldern in die Karten schauen lassen, dafür hatte dieser nun die
dunklen Schatten der Negative in sich zu tragen.
    Killian lachte laut bei dem Gedanken, dass er Belledin davon
erzählen sollte. Der würde überhaupt nichts verstehen und ihn für verrückt
erklären, wenn er es nicht ohnehin schon längst tat.
    »Bedeutet dieses irre Lachen ein Ja?«, fragte Belledin, nahm die
Blätter aus dem Druckerfach und verstaute sie in einer leeren Kladde, die er
auf Hartmanns Schreibtisch gefunden hatte. Dann ließ er Killian den Vortritt
und zog die Tür der Praxis hinter sich zu.
    Belledin hatte nicht grundlos das Gasthaus Krone für den
Mittagstisch gewählt. Abgesehen davon, dass die Portionen ordentlich waren,
hatten sich hier einige Trauergäste zum Leichenschmaus eingefunden. Eine Gruppe
von Frauen unterhielt sich angeregt. Belledin kannte keine davon; aus dem Dorf
waren sie jedenfalls nicht. Aber er erinnerte sich, dass er sie beim Begräbnis
gesehen hatte. Sie waren als Gruppe etwas abseits gestanden.
    Die Bedienung stand bereits mit ihrem Block am Tisch und wartete auf
die Bestellung. Da Belledin mit seiner Aufmerksamkeit noch am Tisch der
Damengruppe weilte, begann Killian mit seiner Order.
    »Einmal Flädlesuppe und eine Apfelsaftschorle.«
    Die Bedienung blickte ihn stumm an und notierte nichts auf ihrem
Block. Killian wiederholte die Bestellung, aber es geschah wieder nichts. Er
überlegte kurz, ob sie die Sprache nicht verstand. Es gab viele Erntehelfer aus
Polen, der Ukraine und sogar aus Ungarn. Aber Killian hätte sie blind als ein
badisches Gewächs gekauft.
    »Kennsch mich nimmi?«, brach es schließlich aus der drallen Frau mit
dem runden Gesicht heraus.
    Killian hob fragend die Brauen. Er war zwanzig Jahre in der Welt
unterwegs gewesen, und seitdem er wieder am Kaiserstuhl war, hatte er sich mehr
in seiner geschlossenen Dunkelkammer aufgehalten als in öffentlichen
Wirtshäusern.
    Belledin, den die Frage der Bedienung wieder an den Tisch
zurückgeholt hatte, feixte sarkastisch: »Tja, Frau Jenne, mir hän uns halt verändert.
Könne nit alle so jung bliebe wie dä Killian. Aber bei dem isch’s wie beim
Dorian Gray, der hät au ä Bildnis uffm Speicher. Und des will ich nit sehe.«
Belledin war unweigerlich in den badischen Dialekt gefallen, obwohl die
Botschaft eigentlich Killian galt.
    »Ich kenn kei Dorian Gray«, protestierte Frau Jenne. »Wer isch des?
Wohnt der z’ Bötzinge? Ä Plaschtiker? Oder einer vum Elsass? Den loss ich mir
nit ahänge …« Sie fuchtelte gespielt entrüstet mit Block und Kugelschreiber und
lachte derb.
    Dabei konnte Killian erkennen, dass ihr bereits zwei Backenzähne
fehlten, obwohl sie auch erst um die vierzig sein mochte. Ob sie früher auch
Patientin bei Dr. Schindler gewesen war?
    Belledin röchelte ebenfalls zwei Lacher unter seinem Schnäuzer
hervor, dann gab er seine Bestellung auf: »Jägerschnitzel mit Pfifferlingen,
kleiner Salat und Weißweinschorle … Soll ich’s ihm sage oder soll er selber
druffkumme?«
    »Späteschtens zum Nachtisch müsst er’s wisse, sonscht bin ich
persönlich beleidigt.« Sie lachte erneut, zwinkerte Killian vertraulich zu und
zog mit der Bestellung ab. Dabei schien sie mit ihren ausladenden Hüften
Extra-Amplituden zu schwingen, in der Gewissheit, dass Killian ihr nachschauen
würde.
    Belledin lachte kauzig und sah Killian mit seinen Schweinsäuglein
listig an. »Und, kannst du dich nicht an sie erinnern?«
    »Müsste ich? Jenne gibt es hier wie Sand am Meer. Und trotzdem hatte
ich nie etwas
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