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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer
Autoren: Maggie Stiefvater
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Besitzurkunde.
    Dann sehe ich, wie er Corr mustert, den gesenkten Kopf, das Blut an seinen Nüstern und das angezogene Hinterbein. Aus nächster Nähe sieht er so elend aus, dass ich erschaudere. Sean hockt sich hin
    und berührt das Bein vorsichtig, lässt die Hand daran hinuntergleiten. Ich kann genau sehen, an der Art, wie Seans Hand innehält, wie er die Schultern sinken lässt, in welchem Moment er weiß, dass das Bein gebrochen ist.
    Ich erinnere mich an das, was Sean sich gewünscht hat: zu bekommen, was er braucht.
    In diesem Augenblick weiß ich nicht, wie ich jemals an einen Gott oder eine Göttin oder an diese Insel glauben konnte und, wenn ich es noch immer tue, wie ich etwas anderes über sie denken soll, als dass sie absolut grausam sind.
    Sean steht wieder auf und öffnet mit einem Ruck den Gurt, sodass der verrutschte Sattel zu Boden fällt und Corr nackt und dunkelrot zurückbleibt, das Fell kraus und feucht an der Stelle, wo der Sattel gelegen hat. Sean streicht mit der Hand über das schweißnasse Fell.
    Dann greift er in Corrs Mähne und presst seine Stirn an seine Schulter. Auch ohne dass er etwas sagt, weiß ich, dass Corr nie wieder ein Rennen laufen wird.

64
    Puck Der Rest des Tages zieht wie ein Nebel aus Siegerehrungen, Geld, Journalisten und Touristen an mir vorbei, aus Glückwünschen und Händeschütteln und so vielen Stimmen, dass keine einzige davon wirklich zu mir durchdringt. Der Schnitt in meinem Bein wird versorgt – Du liebe Güte, das sieht aber böse aus, Puck Connolly, wie um alles in der Welt hast du dir das beim Reiten geholt? Ein Glück, dass die Wunde nicht tief ist – und Dove wird verwöhnt. So geht es Stunde um Stunde und ich komme nicht weg von hier, um mich wichtigeren Dingen zuzuwenden.
    Als die Sonne untergegangen ist, erfahre ich, dass Corr in einem provisorischen Unterstand in einer der Nischen in der Klippenwand übernachten muss, weil er nicht zurück zum Malvern-Hof laufen kann. Ich schaffe es, der Menge zu entfliehen, und als ich halb den Klippenpfad hinunter bin, sehe ich Sean Kendrick. Er sitzt dort, in der Dämmerung, an einen Felsen gelehnt, die Augen geschlossen. Ich wäre zu ihm gegangen, doch George Holly ist bereits bei ihm, rüttelt ihn sanft wach und führt ihn davon. Selbst von hier aus kann ich sehen, dass Seans Gesicht verzerrt ist vor Gram über das, was er verloren hat. Holly nickt mir von Weitem zu, um mir zu bedeuten, dass ich gehen soll, aber erst als ich Seans Blick begegnet bin, drehe ich mich um und bringe Dove nach Hause.
    Finn holt mich auf dem Heimweg ein und hüpft eine Weile neben mir her, bevor er normal geht. Seine Hände sind in den Taschen seiner Jacke vergraben. Ein paar Minuten lang laufen wir schweigend neben-
    einanderher und die einzigen Geräusche kommen von unseren Schritten auf dem weichen Boden und Doves Hufen, die im Gehen hin und wieder einen Kieselstein aufspringen lassen.
    »Du guckst so ernst«, sagt Finn schließlich.
    Ich weiß, dass er recht hat; ich kann die Furche zwischen meinen Augenbrauen selbst spüren. »Ich rechne, das ist alles.« Doch es bereitet mir keine große Freude. Die Zahlen ergeben immer wieder dasselbe: genug, um unser Haus zu retten, aber nicht genug, um damit Corr zu kaufen, selbst wenn Malvern es zuließe.
    »Du solltest feiern!«, ruft Finn. »Gabe hat gesagt, er kocht uns zu Hause ein Festmahl!« Selbst ein so langer Tag kann seinen Schritten nicht ihren übermütigen Schwung nehmen. Er ist wie ein Fohlen an einem stürmischen Morgen.
    Ich gebe mir alle Mühe, meine Stimme nicht zu scharf klingen zu lassen, denn nichts von dem, was passiert ist, ist Finns Schuld, aber ein winziger Hauch von Bitterkeit schleicht sich dennoch hinein. »Ich kann nicht feiern, während Sean da unten mit einem verletzten Pferd sitzt, das er sich meinetwegen nicht mehr leisten kann!«
    »Woher willst du denn wissen, ob Sean ihn jetzt überhaupt noch will?«
    Das muss mir niemand sagen. Ich weiß, dass Sean Corr noch will. Es ist ihm nie um das Rennen gegangen.
    Finn sieht mich von der Seite an und liest mir die Antwort vom Gesicht ab. »Aha«, sagt er dann. »Und warum kann er ihn sich nicht leisten?«
    Es auszusprechen, macht es nur noch schlimmer, trotzdem erwidere ich: »Sean hätte gewinnen müssen, um den Rest des Geldes zusammenzubekommen. Er hatte nicht genug.«
    Lange Zeit ist wieder nichts als unsere Schritte zu hören, das Klappern von Doves Hufen und der Wind, der uns um die Ohren pfeift. Ich frage
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