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Rost

Titel: Rost
Autoren: Philipp Meyer
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ließ Isaac los und lehnte sich zurück auf seine
Seite. »Diese Männer sind jetzt alle drei weg, Isaac. Die einzigen, die jenen
Abend überlebt haben, seid ihr zwei, du und Billy Poe. Verstehst du mich?«
    »Was ist passiert, wieso sind die jetzt tot?«
    »Das könnte alle möglichen Gründe haben.«
    Sie saßen lange schweigend da, einige Minuten vielleicht, bis sich
Harris mühsam aufrappelte und zu seinem Schreibtisch ging. Er öffnete die
Holzkiste, die dort stand, schaute nachdenklich hinein und nahm schließlich
eine Zigarre heraus. »Die rauchst du wohl nicht?«
    »Nein.«
    »Ich brauche jetzt eine.« Harris schnitt das eine Ende ab und zündete
sie an. Er stellte sich ans offene Fenster und schien sich zu sammeln.
    »Keine Ahnung, ob du das schon weißt, als ich zu euch nach Hause kam
und mit dir reden wollte, warst du nicht mehr da. Sie wollten Billy anklagen,
den Mann getötet zu haben, aber jetzt sieht es danach aus, als müssten sie ihn
wieder gehen lassen. Während von dir keiner je gehört hat. Ich vermute, da dich
Billybisher nicht verraten hat, wird er’s auch jetzt nicht tun, vor allem,
wenn die Anwältin von diesen neuesten Entwicklungen erfährt. Wobei ich sie
gleich anrufen will, sobald wir hier fertig sind.«
    »Wann ist er eingesperrt worden?«
    »Ich weiß nicht mehr genau. Irgendwann letzte Woche?«
    »Und wie lautete die Anklage?«
    »Dass er den Mann getötet hätte«, sagte Harris. »Mord.«
    »Und er hat nichts gesagt?«
    Chief Harris schüttelte den Kopf.
    Isaac sagte eine Weile nichts. »Ich werd hier weggehen«, sagte er.
»Wahrscheinlich nach Connecticut zu meiner Schwester.« Er war selbst erstaunt,
als er sich diesen Satz sagen hörte. Es fühlte sich halt richtig an.
    »Das klingt nach einer guten Idee«, meinte Harris.
    »Und was wird aus Billy?«
    »Ungefähr in einem Monat, mehr oder weniger, werden sie nicht anders
können, als ihn freizulassen.« Er trat von dem Fenster weg und nahm von seinem
Schreibtisch Stift und Notizblock. »Pass auf, wenn du dich wegen irgendetwas
unwohl fühlst, kommst du zu mir. Ich geb dir meine Handynummer und die von zu
Hause auch, ruf einfach an, wir treffen uns.«
    »Ich glaube kaum, dass das nötig sein wird«, erklärte Isaac. »Ich
glaube, mir geht’s gut.«
    »Du hast das Richtige getan, ist dir das klar? Ich wünschte, ich
könnte dir irgendetwas dafür geben, dass du dich gemeldet hast. Ich glaub, mir
sind nicht viele Leute untergekommen, die das getan hätten. Aber jetzt …« Er
zuckte die Achseln. »Es wird Zeit, dass du nach Hause gehst.«
    ***
    Isaac spürte, dass er ging, aus dem Revier ging, Treppe runter,
auf die Straße in die Stadt. Die Wolken fingen an zu ziehen. Er war schon
halbwegs durch die Stadt und fast am Fluss, als er bemerkte,dass er sich
entschieden hatte, Harris zu vertrauen. Und den anderen auch. Er würde das
versuchen und mal sehen, wie es ausging.
    Ein paar Straßen weiter überquerte er die alte Bahnlinie und stand
im Schilf, am Ufer. Es war ruhig in seinem Kopf. Er stand da, schaute in die
Sonne auf dem langsam strömenden Fluss, kniete nieder und steckte die Hand ins
Wasser, und der Wellenkreis dehnte sich aus, Licht spiegelte sich in der
Kathedralenkuppel und den Fenstern aller Häuser, ein paar Seeschwalben flogen
los, hin zum offenen Wasser, und bald würde er wie sie sein, fort.

7 . Harris
    Er blickte Isaac nach, der die Tür artig hinter sich zumachte.
Ob er es schaffen würde, den Mund zu halten? Eine Katastrophe hätte all das
werden können. Und konnte es immer noch.
    Er hatte Isaac nicht mitgeteilt, dass Billy Poe mit einem Messer angegriffen
worden war und fast gestorben wäre, nachdem er sich tagelang geweigert hatte,
seine Anwältin zu treffen. Ist ein anderer Mensch, als du gedacht hast. Grace
wusste noch nichts von den Verletzungen. Doch er konnte es ihr nicht sagen.
Harris merkte, wie sein Kopf ins Schwimmen kam, doch früher oder später würde
ihn der Staatsanwalt befragen, dafür musste er sich innerlich sortieren. Seine
Finger taten weh, der Schmerz strahlte den ganzen Arm hoch, und die Wunde an
den Rippen wollte sich nicht schließen, hätte eigentlich genäht werden müssen,
aber jetzt musste Klebeband genügen.
    Aufstehen, los. Es gab noch die Geschichte zu organisieren, wo er
gestern Nacht gewesen war, und dann musste er mit einem Q-Tip seinen Wagen
säubern. Neue Reifen höchstwahrscheinlich auch. Die Reifen – das war vielleicht
übervorsichtig. Vielleicht auch nicht. Die Hölle
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