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Rost

Titel: Rost
Autoren: Philipp Meyer
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der Kammer war, und von dem
Nachtsichtgerät kam ein schwacher Lichtschein. Wenigstens siehst du das
Nachtsichtgerät, dachte er, wie tröstlich, er war froh, dass er es hatte
installieren lassen, dazu hatte Ho ihn gedrängt, »der Revolver bringt nichts,
wenn du nicht dein Nachtsichtgerät sehen kannst«, normalerweise kümmerte sich
Harris nicht um so was. Das bringt Pech, hatte er stets gefunden, wenn du zu
viel über so was nachdenkst, all die Eigenschaften deiner Waffen, fast als
suchtest du nur einen Vorwand, um sie einzusetzen. Bester Zugang zu dem Haus
war hintenrum, am Schlafzimmer vorbei, wo jetzt der zweite Mann schlief.
    Die Verandastufen knarrten leicht, und er verharrte lange reglos,
hörte nichts. Er öffnete die Hintertür sehr langsam und schlüpfte hinein, durch
eine Küche, überall lag Müll herum, dieKisten stapelten sich, alte
Baumaterialien, ein langer Flur zum vorderen Raum. Als er den Flur entlangging,
sagte jemand: »Bist du das, Jesús?«
    Mit ein paar schnellen Schritten hatte er das Wohnzimmer erreicht,
die Hand an dem Revolver in der Jackentasche, in dem Raum standen zwei alte
Sofas und einige Kerzen auf Bierflaschenhälsen.
    Auf der einen Couch saß ein Mann in den Vierzigern, mit tiefen Ringen
unter den Augen, rasiert hatte er sich schon lange nicht mehr.
    »Murray«, sagte Harris.
    »Das Gesicht kommt mir bekannt vor«, sagte Murray und versuchte,
Harris’ Züge unter seiner Wollmütze zu erkennen. »Chief Harris?«
    Harris nahm seinen Revolver aus der Tasche und legte auf Murray an.
Der hob die Hände.
    »Holla«, sagte er. »Da haben Sie den Falschen, Chief.«
    »Du musst das Tal verlassen«, hörte Harris sich sagen. Sein Finger
lag jetzt auf dem Abzug, distanziert nahm er es wahr.
    »Klar«, sagte Murray. »Wie Sie wollen.«
    »Falls du dich in Pennsylvania noch mal blicken lässt, dann landest
du im Fluss. Und falls du dich beim Staatsanwalt in Uniontown beschwerst,
genauso.«
    »Bin schon weg hier«, sagte Murray, aber dann machte er eine komische
Bewegung, Harris spürte etwas hinter sich und wusste, umdrehen oder abdrücken.
Er drückte ab. Der Schuss ging los, und Murray sackte auf der Couch zusammen.
Jemand attackierte Harris jetzt von hinten, und sie krachten beide an die Wand.
Harris versuchte, den Mann abzuschütteln, landete stattdessen aber auf dem
Bauch, unter dem anderen, dann war da so ein seltsames Gefühl, weil der ihn in
die Rippen boxte, nur viel schmerzhafter; der Mann stach auf ihn ein und kam
nicht richtig durch die Weste. Dann ließ er das Messer fallen und griff nach
der Knarre. Er drückte mit beiden Händen den Revolver auf denBoden und
versuchte ihn aus Harris’ rechter Hand zu winden. Dessen anderer Revolver
steckte in dem hinteren Gürtelholster, und er drückte seinen Rücken durch, um
mit der Linken dranzukommen, doch der Griff saß in der falschen Richtung, jetzt
brach irgendwas in Harris’ Hand, er hörte das Geräusch und nahm es fast nicht
wahr, er konzentrierte sich darauf, mit jedem Finger seiner linken Hand den
Griff der Automatik zu packen, der Mann riss den Revolver an sich, just als
Harris den Kaliber . 45 rausgezerrt und mit dem
Zeigefinger schnell entsichert hatte, eine halbe Drehung, und er rammte die
Revolvermündung in das Haarbüschel hinter dem Ohr des Mannes. Wie von fern
bekam er mit, dass der Schuss losging, die Patronenhülse von der Wand
abprallte. Murray stolperte an ihm vorbei, und Harris schoss ihm glatt durchs
Becken; Murray schaffte es nach draußen und war weg.
    Im Zimmer war es dunkel, nur das Kerzenlicht flackerte; Harris
rollte sich unter dem Toten weg und rannte hinter Murray her auf die Veranda,
halbwegs taub; es hatte direkt neben seinem Kopf geknallt. Er hörte seine
eigenen Schritte wie von innen, irgendwie fühlten die Ohren sich verstopft an.
    Auf der Straße war es stockfinster, ihm sank der Mut – da war nichts.
Er erhob die Waffe mit der Linken und schaute sich weiter um, zugleich suchte
er in der Jacke nach der Taschenlampe, hielt nach allem Ausschau, was sich
rührte, da – da war etwas, so zwanzig, fünfundzwanzig Meter weg, er nahm die
Lampe raus und schaltete sie mit seiner gebrochenen Hand ein, das war er,
Murray, er humpelte gekrümmt durch das Gestrüpp; als ihn der Lichtstrahl traf,
erstarrte er. Nur eine kleine Anpassung des Nachtvisiers, und Harris schoss, genau
zwischen die Schulterblätter. Dann noch einmal, ganz bewusst.
    Als Harris Murray einholte, war der auf allen Vieren, so als betete
er
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