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Rosenfolter

Rosenfolter

Titel: Rosenfolter
Autoren: Friederike Schmöe
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›Irgendwas Dunkles
hängt über der Stadt.‹ Wie gut, dass die Bevölkerung normalerweise nicht wusste,
wie viele paranoide Dinge permanent in ihrer unmittelbaren Umgebung geschahen. Kriminalstatistiken
las eben niemand gern, und ausgerechnet jetzt, wo Bamberg sich auf die Gartenausstellung
vorbereitete, passten Einbrüche, Bestechungsskandale, Totschlag und rätselhafte
Unfälle gar nicht ins Bild.
    Sie rollte unter
der Friedensbrücke durch. An der großen Kreuzung über ihr begann Gaustadt. Ein Stadtteil
Bambergs mittlerweile. Die Insel zwischen Kanal und Regnitz war einst der Ort, wo
Gaustadts wichtigster Arbeitgeber, die Spinnerei, Menschen in Lohn und Brot gehabt
hatte. Seit dem Konkurs in den frühen Neunzigern lag die Insel brach. Was sich nun
ändern würde.
    In elf Tagen, überschlug Katinka, würde auf der ERBA-Insel die bayerische
Landesgartenschau eröffnen. Gleich hier hinten befand sich ein Eingang zum Gelände.
Dann noch einer, den man erreichte, wenn man zu Fuß oder mit dem Rad von der Hauptstraße
aus zum Wehr abbog. Katinka radelte weiter, rechts der Fluss, links die Wohnhäuser
von Gaustadt. Die neuen Häuser auf der Flussseite gegenüber erinnerten sie an ihre
eigenen Pläne. Was sollte sie mit dem Haus in der Concordiastraße tun? Kaufen? Es
schleunigst vergessen? Hatte sie Lust, sich mit Handwerkern zu ärgern, Mieter zu
betreuen und Nebenkostenabrechnungen zu machen?
    Es ist eigentlich eher so, dass ich was Neues ausprobieren will, überlegte
Katinka. Die Wohnung in der Herzog-Max-Straße hatte ihren Reiz verloren. Eine schnöde
Mietwohnung. Dort hingen Erinnerungen in den Ecken, die wehtaten. Nicht mehr sehr,
aber doch so, dass sie froh wäre, ihnen zu entkommen. All die unausgesprochenen
Dinge schwebten wie staubige Spinnennetze von den Decken: Ich bin traurig. Ich fühle
mich allein. Manchmal wird mir das Herz schwer. Tabus in einer Gesellschaft, die
ausschließlich Erfolge auf der Habenseite verbuchte.
    Katinka rollte an der Brücke vorbei, die zu der Kleingartenanlage auf der
ERBA-Insel führte. Am Ufer dümpelten Motorboote und Miniyachten. Die Kleingärtner
waren mitsamt ihren grünen Oasen in die Landesgartenschau eingesaugt worden. Ihre
früher abgeschiedene Kolonie war zu einem begehbaren kleinen Reich mutiert, durch
das im kommenden halben Jahr Scharen von Besuchern geleitet würden. Auch kein Spaß,
dachte sie, wenn man sich hier einen Rückzugsraum geschaffen hat. Aber ein Kleingarten
kam für Katinka nicht in Frage. Dann schon eher ein Haus. Ein Haus voller Kiffer
und Dealer in der Concordiastraße. So pflegte Hardo es auszudrücken, wenn sie mit
ihrer Idee kam. Katinka seufzte. Emma Theiss hatte in dieselbe Kerbe geschlagen.
    Nun kam die Inselspitze zum Vorschein. Im Dämmerlicht ragte sie weit hinaus
ins Wasser. Eine Bühne war dort errichtet worden. Alle träumten von lauen Sommernächten
mit Lesungen und Konzerten an der Inselspitze, einem romantischen Flecken Bambergs,
der bislang kaum zugänglich gewesen war. Hinter der Insel führte der Main-Donau-Kanal
entlang, mit direkter Zufahrt zu den beiden Hafenbecken, und traf am nordwestlichen
Zipfel der Insel auf die Regnitz. Beide Wasserarme flossen als Main weiter nach
Westen, um sich irgendwo bei Mainz-Kastel in den Rhein zu ergießen.
    Katinka hielt an
und stieg vom Rad. Emma Theiss lag völlig falsch. Beschauliches Bamberg, das passte
schon eher. Verträumte kleine Stadt, heimgesucht von Touristen, entstellt von Reisebussen,
die sich trotz aller Verbote durch die engen Gässchen quälten, durchströmt von einem
irrsinnigen Autoverkehr, dem die alten Häuser kaum standhalten konnten. Geschweige
denn ihre Bewohner. Aber hier, am frühen Morgen, im Dämmerlicht, während der Nebel
über dem Wasser schwebte, schien alles still und vollkommen.
    Hinter der Insel
tauchte ein Frachtschiff auf. Wie ein übergroßer Schatten glitt es über das Wasser,
tief einsinkend, schwer beladen. Seine Bugwelle erreichte schnell das Ufer und schwappte
gegen die Befestigungssteine. Ein Kanadier mit grasgrünem Rumpf tauchte wippend
zwischen dem Ufergestrüpp auf.
    Katinka ließ das
Rad stehen und kletterte die Böschung zum Fluss hinunter. Locker mit einem Seil
an einer Anker-öse befestigt, die Paddel bereit, schien ihr das Boot zuzurufen:
»Komm, Privatdetektivin. Eine Spritztour auf dem Wasser gefällig?« Aufmerksam sah
sie sich um. Niemand war zu sehen.
    Blinde Stunden
nannte man solche Momente, in denen sich ungewollt und doch wie von
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