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Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)

Titel: Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
Autoren: Rüdiger Bertram
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romantische Gespräche führt. Aber das täuscht. Anne nimmt Moritz die Verspätung immer noch übel, weil es eben nicht das erste Mal war, sondern bei ihm ständig vorkommt. Während Moritz ihr die Geschichte aus dem Bus erzählt, knibbelt sie schlecht gelaunt das ausgekühlte Wachs von der Kerze und formt daraus kleine Bällchen, die sie über den Tisch rollen lässt.
    »… und dann habe ich die beiden Kontrolleure so richtig zusammengefaltet.« Moritz hält seine Hand ganz dicht über den Tisch. »So klein mit Hut waren die. Die haben sogar die Tasche von der Kleinen wieder eingeräumt und kein einziges Wort gesagt, als ich mit dem Mädchen aus dem Bus marschiert bin.«
    »Echt?« Jetzt muss Anne lächeln, das erste Mal an diesem Abend.
    »Klar, die Kleine war schließlich in Not, das sah man doch. Wenn ich sie nicht gerettet hätte, wäre die von ihrem Vater zur Strafe bestimmt für dreiunddreißig Kamele an einen uralten, fußlahmen Wüstennomaden verheiratet worden. Das konnte ich doch nicht zulassen, oder?«
    Anne lacht jetzt sogar, und Moritz zieht etwas aus seiner Jackentasche. Es ist das Buch von Karelski, das er in der Buchhandlung geklaut hat.
    »Hier. Für dich. Hab ich dir mitgebracht«, sagt Moritz und schiebt Anne den dünnen Band über den Tisch.
    »Danke«, erwidert Anne erfreut, weil Moritz ihr nicht so oft Geschenke mitbringt. »Schade, dass ich im Augenblick wegen der Arbeit nicht so oft zum Lesen komme. Ich hebe es mir fürs Wochenende auf, okay?«
    »Lies es einfach, wenn du mal Zeit hast. Es war nicht so teuer, und der Autor, dieser Karelski, ist wirklich spitze«, sagt Moritz und greift nach ihrer Hand. Anne zieht sie nicht weg.
    »’tschuldige wegen gestern. Ich war einfach total müde, und heute war auch nicht so toll. Eine Patientin von uns. Morgens ging es der alten Dame noch gut, und am Nachmittag war sie plötzlich tot«, sagt Anne, und ich kann sehen, wie sie dabei seine Hand drückt.
    »Scheiße!« Moritz erwidert den Druck ihrer Hand und sieht dabei wirklich betroffen aus. Der Tod der alten Dame scheint ihm tatsächlich nahezugehen, auch wenn er sie überhaupt nicht gekannt hat.
    »Ich weiß nicht, ob ich mich daran gewöhnen kann«, fährt Anne fort und blättert mit ihrer freien Hand ratlos durch die Buchseiten. »Erzähl lieber von dir. Wie war dein Tag?«
    »Gar nicht so übel, eigentlich sogar ganz prima. Ich hab nämlich eine gute, eine schlechte und eine gute Nachricht. Welche willst du zuerst hören?«
    Moritz nimmt eine der Wachskugeln, die Anne geformt hat. Er legt sie unter eines von drei Pizzabrötchen und schiebt die dann über den Tisch, als wäre er ein Hütchenspieler. Er legt sich echt ins Zeug, um Anne aufzuheitern, das muss man ihm lassen.
    »Also entscheide dich«, fordert Moritz sie auf, als er die drei Brötchen vor Anne aufgereiht hat. »Wenn du die Kugel erwischst, erzähle ich zuerst die schlechte. Deine Chancen auf eine gute Nachricht stehen also zwei zu eins. Welche nimmst du zuerst?«
    »Auf jeden Fall eine gute«, sagt Anne und tippt auf das Brötchen ganz rechts. »Die kann ich gebrauchen.«
    Moritz dreht das Brötchen um, und tatsächlich, darunter ist nichts außer der Tischdecke. Doch ehe Moritz erzählen kann, taucht der Kellner auf und serviert das Essen. Moritz salzt ordentlich nach, noch bevor er den ersten Bissen seiner Pizza probiert hat.
    »Und was ist jetzt die gute Nachricht?«, will Anne wissen, nachdem sie ihren ersten Hunger gestillt haben.
    »Ich geh nicht mehr ins Lager.«
    »Echt? Hast du den Job geschmissen?« Anne sieht wirklich erfreut aus.
    »Das ist die schlechte Nachricht.« Moritz hebt das Brötchen hoch, das in der Mitte ist und unter dem die Wachskugel liegt. »
Ich
wurde geschmissen. Sie haben die Zettel gefunden. Aber ich hab ja noch eine gute.« Moritz dreht das dritte und letzte Brötchen um.
    »Du holst dein Abi nach?«, fragt Anne und blickt Moritz erfreut an.
    »Quatsch, die zweite gute Nachricht ist: Ich hab von nun an viel mehr Zeit zum Schreiben. Hör zu: Hast du schon mal überlegt, was wäre, wenn der Staat in den Buchläden alle Videofilme aus den Überwachungskameras auswerten und genau registrieren würde, für welche Bücher man sich interessiert? Im Internet passiert das doch sowieso schon ständig. Daraus kann man eine tolle Story bauen. Der totale Überwachungsstaat, der aus den Büchern, die die Menschen lesen, ableitet, ob sie gefährlich oder harmlos sind. Das ist ein echt cooler Stoff.«
    Ich kann
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