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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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zu uns, in den 50er Jahren. Man denkt da als Erstes: Pizza. Wichtiger als die Pizza war für die Volksgesundheit, dass der Italiener uns essbares Obst und leckeren Salat gebracht hat. Wir reden hier zum Beispiel über Obstsalat mit Marsala. Oder Salat mit so viel Parmaschinken darin, dass der Salat kaum noch auffällt. In Deutschland bedeutete »gesund«: Es schmeckt nach dem Schweiß von Turnvater Jahn. Statt mit Blut, Schweiß und Tränen machte der Italiener einfach alles mit Olivenöl. Die Kellner aber redeten mit den deutschen Gästen fast immer Italienisch. Die Kellner taten so, als sei das normal. Dass sie Deutsch verstehen, merkte man nur daran, dass sie den Gästen fast immer die richtigen Gerichte brachten.
    Vielen Türken hat man ihr schlechtes Deutsch Jahrzehnte später zum Vorwurf gemacht. Bei den Italienern dagegen dachte man: gute Show.
    Die deutschen Arbeiter waren wegen des Olivenöls erst mal misstrauisch. Die Arbeiter blieben bei ihrer Blutwurst, alle anderen gingen zum Italiener. Die zweite Welle, 60er Jahre, bestand dann aus dem Jugoslawen, dem Griechen und dem Chinesen.
    Der Jugoslawe führte sich mit der Sitte ein, dass es nach dem Essen einen Schnaps auf Kosten des Hauses gibt. Es waren kleine Slibowitzfläschchen, die man sich an den Hals setzte. Der Jugoslawe war außerdem Hackfleischfetischist. Man dachte damals, dieses ganze Land Jugoslawien muss aus Gebirgen von Hackfleisch bestehen. In der Schule haben die jugoslawischen Kinder jede Woche zwei Stunden Hackfleischkunde. Die Schweine und Kühe kommen schon fertig gehackt zur Welt, auf General Titos Befehl.
    Deshalb gingen die deutschen Arbeiter besonders gern zum Jugoslawen. Hackfleisch, Schnaps und SPD, so hieß schon bald ihre Devise.
    Der Grieche arbeitete als Erster mit eigenem Soundtrack. Ein griechisches Lokal ohne griechische Musik war undenkbar. So setzte er sich vom Jugoslawen ab. Jugoslawische Musik gab es irgendwie nicht. Der Grieche war außerdem fast immer billig. Und griechische Wirte waren fast immer links. Der Grieche war folglich das Lieblingslokal der Studenten. Bei den billigen Griechen wurde pausenlos das gleiche Lied gespielt, die etwas teureren Griechen besaßen drei oder vier verschiedene Lieder.
    Der Chinese wurde zum Hauptrivalen des Italieners, weil er ähnlich zahlreich auftrat. Die Chinesen stylten ihre Restaurants in einer bis dahin ungekannten Radikalität chinamäßig durch, bis auf den Kellner war beim Chinesen alles aus rotem oder goldfarbenem Plastik. Die Gerichte waren durchnummeriert, bunt angezogen und gut aufgewärmt wie Fußballspieler und wurden vorher in der Küche von alten Frauen kleingeschnitten. Man hätte die chinesischen Gerichte ohne Probleme durch das Bohrloch zu den Eingeschlossenen von Lengede hinabwerfen können.
    Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte aß man Sachen, bei denen man nicht wusste, was es ist. Austernpilze zum Beispiel wurden bis Mitte der 70er von den meisten für eine glibbrige Art Salat gehalten. Auch Geschmacksrichtungen wie »süßsauer« oder »sehr scharf« waren bis dahin unbekannt. Zum Nachtisch gab es lauwarmen Pflaumenwein. Wir dachten: »Überall im Ausland, egal ob Jugoslawien oder China, spielt offenbar die Pflaume in der Trinkkultur die dominante Rolle.« Zum ersten Mal wurde uns die tiefverwurzelte Pflaumenfeindlichkeit der deutschen Gesellschaft bewusst.
    Dann passierte eine Weile lang wenig. Die wichtigste Neuerung der 70er Jahre bestand in der Ausbreitung des Dönerschnellimbisses. Richtige türkische Restaurants blieben anfangs selten, die gab’s fast nur in Berlin. Sonderbar, oder? Wir dachten: »Typisch türkisch heißt, dass man zum Essen nur ganz wenig Zeit hat.«
    In der dritten Welle, 80er Jahre, kamen der Thailänder, der Mexikaner und der Inder. Bohnenbrei, Avocadobrei, Tomatenbrei, geschmolzener Käse – beim Mexikaner muss fast alles püriert sein. Der Mexikaner ist für Zahnersatzträger ideal geeignet und insofern der deutschen Alterspyramide perfekt angepasst, stattdessen aber gehen vornehmlich junge Leute zu ihm hin und trinken Süßbier aus der Flasche. Beim Mexikaner wird man auffällig selten von echten Mexikanern bedient. Die Kellner sind in der Regel deutsche Studenten. Auch in der Küche herrscht eine für einen Mexikanerbetrieb einigermaßen überraschende Mexikanerknappheit. Die Mexikaner waren die ersten ausländischen Restaurants ohne Ausländer.
    Auch der Inder zieht bei Tisch das Breiartige dem Festen vor. Seine
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