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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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anderer die Bundesregierung, jemand die EU, wieder ein anderer Attac und so weiter. Es geht darum, die Positionen der Gegner von innen kennenzulernen, indem man in ihre Haut schlüpft. Die Attac-Leute sollen schon vorher wissen, was ihr Gegenüber als Nächstes sagen wird.
    Ich spiele den Regierungsvertreter von Ghana. Ich würdemeine Wasserrechte schon gerne behalten, aber ich stehe nun mal unter starkem Druck der Konzerne und bin leider auch ein bisschen korrupt.
    Am Ende des Seminars singen alle gemeinsam die »Wasserhymne« von Attac, zur Melodie von »Wasser ist zum Waschen da«. Man darf aber auch vorher schon gehen.
    Attac versteht sich als »Bildungsbewegung mit Aktionscharakter«, das Konzept erinnert ein bisschen an die Arbeiterbildungsvereine des 19. Jahrhunderts. Hinter der Sommerakademie steht die Idee, jedes Jahr tausend Personen oder mehr zu geschulten, nicht leicht zu widerlegenden Antiglobalisierern zu machen. Es geht darum, würde ein Attac-Mensch vielleicht sagen, die »gesellschaftliche Hegemonie zurückzugewinnen«.
    Attac will Deutschland umdrehen. Jeden Morgen kommt ein aktuelles Programm mit Seminaren und Workshops heraus, es hat 50 oder mehr Punkte: »Moderationstraining«, »Copyright, das virtuelle Öl des 21. Jahrhunderts«, »Theaterarbeit als Möglichkeit sozialen Widerstands«.
    Attac ist zu Beginn des Jahrhunderts die am schnellsten wachsende Gesinnungsgemeinschaft in Deutschland. Der deutsche Ableger wurde 2001 gegründet, von 200  Leuten. 2003, sagt die Geschäftsführerin Sabine Leidig, sind es 25 000 Mitglieder und Mitarbeiter. Eine Verhundertfünfundzwanzigfachung innerhalb von zwei Jahren. Jede Woche wird eine neue Gruppe gegründet.
    Sabine Leidig hat rote Locken und war früher beim DGB. Die Mitglieder nennt sie »Attackies«.
    Fast jede Bewegung, Glaubensgemeinschaft oder Partei beginnt mit einem Gründungsmythos. Attac, so heißt es, sei durch einen Leitartikel entstanden. Er stand 1997 in »LeMonde diplomatique«, einem angesehenen, nicht sonderlich radikalen Monatsblatt, Auflage 180 000, und hieß »Entwaffnet die Märkte«. Es muss wirklich ein Wahnsinnsleitartikel mit unglaublicher Power gewesen sein. Die Reaktion waren 4000 Leserbriefe und die Gründung von Attac. Der Redaktionsdirektor von »Le Monde diplomatique«, ein würdiger alter Spanier, hat das Amt des Attac-Ehrenpräsidenten inne.
    Attac verbreitet sich über die ganze Welt, aber in Deutschland geht es besonders schnell. Sabine Leidig sagt: »Im Gegensatz zu anderen Ländern gibt es bei uns keine Partei, die gegen Globalisierung und Neoliberalismus ist. Die gesamte Opposition sammelt sich bei uns.« Die Linkspartei zählt offenbar gar nicht mehr. Dann beschreibt sie die Struktur von Attac. Es ist gleichzeitig vage und kompliziert – viele Gremien, aber keines hat etwas Verbindliches zu sagen. Attac hat kein Programm, keine Satzung, keinen Vorsitzenden und keine alle vereinende Ideologie. Jeder darf mitarbeiten, egal ob Beiträge bezahlt werden oder nicht. Es funktioniert wie das Internet, weltweit und verknüpft, eine neue Internationale, aber ohne Zentrum. In der Organisation herrscht das Konsensprinzip. Das heißt: Man unternimmt nur etwas, wenn restlos alle dafür sind. Sämtliche strittigen Fragen werden ausgeklammert, ähnlich wie in Angela Merkels CDU.
    Keine Richtungskämpfe. Keine Fraktionen. Keine Hierarchie. In Attac bilden sich die traumatischen Erfahrungen der Linken ab. Die linke Geschichte kann man als eine Geschichte von erbarmungslosen Fraktionskämpfen, von Machtgier und Verrat, Intrigen und enttäuschten Hoffnungen schreiben. Attac aber sieht aus, als hätte es ein Organisationstheoretiker entworfen. Sein Auftrag: Erfinde eine Struktur, in der sogar ein Joschka Fischer garantiert nicht Häuptling werden kann.Erfinde etwas Linkes, aber minimiere die Gefahr von Verrat und Spaltung.
    Keine verbindliche Ideologie. Höchstens, eventuell, ein Weltbild. Die Leerstelle füllen sie mit Wissenschaft. Attackies lieben den Wissenschaftlerjargon. Sie wollen bessere Experten sein als ihre Gegner. Dann, so glauben sie, können sie gewinnen. Die Naturwissenschaften sollen der neue Sinnstifter sein? Attac hätte nichts dagegen. Als es in einer Diskussion um die Warteschlangen in der Mensa geht, sagt ein vielleicht Achtzehnjähriger: »Wir müssen das Zeitmanagement effizienter gestalten.« Eine Studentin sagt: »Am Weltbild der Neoliberalen stört mich am meisten, dass es so schlicht ist.«
    Das Weltbild
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