Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
Vom Netzwerk:
schicken dich wieder los. Wenn du aussagst, darfst du hierbleiben, und wir helfen dir. Zuerst kommst du ins Frauenhaus.«
    Anna sagte: »Da komme ich doch gerade her.« In der Ukraine gibt es nur diese eine Art Frauenhaus.
    Anna tritt als Zeugin auf, gegen die Frau, die sie von ihrem Cousin gekauft hat. Diese Frau war früher selbst Prostituierte. So ein Rollenwechsel ist nicht selten. »Ich hatte keine Angst vor ihr. Im Gegenteil. Ich bin stolz darauf, dass ich mutig war. Diese Frau hatte nicht mal den Mut, mir im Gerichtssaal in die Augen zu schauen.« Das Urteil lautet zwei Jahre auf Bewährung.
    »Zu wenig«, sagt Anna. »Ich war die einzige Zeugin. Meine Freundin wurde auch befreit, aber sie hat sich lieber abschieben lassen, als auszusagen.« Und: »Ich bin sehr stolz auf mich.«
    Wir dürfen sie nicht fotografieren und ihren Namen nichtnennen. Wir müssen an ihrer wahren Geschichte einige Details verändern. Racheakte gegen sie sind möglich. Aber meistens, erzählt der Polizist, verzichten die Täter auf Rache. »Die halten lieber den Ball flach. Wenn sie aus dem Gefängnis wieder freikommen, besorgen sie sich eben neue Frauen.« Nachschub gibt es genug.
    Bis der Prozess beginnt, dauert es fast vier Jahre. In dieser Zeit holt Anna ihren Sohn zu sich, lernt Deutsch, macht den deutschen Abschluss als Bürokauffrau und findet eine Stelle. Irgendwo. Sie leidet unter Herzproblemen, von denen der Arzt meint, sie seien psychosomatisch, und sie schläft meistens nur drei Stunden pro Nacht. Der Cousin verkauft immer noch Frauen und BMWs, aber traut sich nicht mehr nach Deutschland. Ihre Eltern haben den Cousin aus der Familie verstoßen.
    Ihr damaliger Freund hat die Beziehungen zu ihr abgebrochen. Ansonsten geht es ihr gut.

Als Ghanaer bei Attac
    Vielleicht sollte man mit den Frauen anfangen. Die Frauen haben bei der Attac-Sommerakademie nämlich eine Zweidrittelmehrheit. Zum Beispiel Friederike von der »AG Globalisierung und Feminismus«. Friederike kommt aus der Friedensbewegung und hat dort den Kurs »Wie blockiere ich richtig?« besucht. Dann war sie in einer K-Gruppe, anschließend als Autonome in Hamburg, danach im Dschungel bei den Zapatistas und ihrem Subcommandante Marcos. Jetzt sitzt sie also bei Attac auf dem Podium bei irgendeiner Diskussion.
    Faszinierend ist, dass man Menschen eine von politischen Leidenschaften gesteuerte Biographie fast nie ansieht, während andere exzessiv betriebene Leidenschaften Spuren zu hinterlassen pflegen. Friederike trägt ein schwarzes Sommerkostüm, tritt perfekt gestylt und mit professioneller Lockerheit auf, sie könnte ohne weiteres Vorstandssprecherin von Bayer sein.
    Oder Christina. Christina ist 25, sehr höflich, sehr sachlich, freundlich, aber auch distanziert, mit einem Wort: distinguiert. Bestimmt spielt sie Klavier. Früher hätte man gesagt: Tochter aus gutem Hause. Sie stammt aus Celle, studiert Politik, gehört zum harten Kern von Attac und den Gründerinnen der Sommerakademie, letztes Jahr in Marburg. Vor fünf Jahren war sie schon bei Demonstrationen gegen den Castortransportdabei, bald darauf bei Robin Wood. »Ich habe aber gemerkt, dass es letztlich auf die Wirtschaftspolitik ankommt.« Christina hat die Jungen Grünen ausprobiert, das war nichts. Keine Dynamik. Christinas Eltern sind Post-68er. Grüne. Christina will sich von ihren Eltern nicht abgrenzen, sie will aber einen eigenen Weg gehen.
    Über »Generation Golf« sagt sie: »Das Buch steht für genau die Art von Welt, die ich nicht haben will.« Wenn eine Attac-Frau die Wahl hat, ob sie mit Florian Illies zu Abend isst oder mit George W. Bush, dann nimmt sie Bush.
    In Münster leitet Christina, mit zwei anderen Frauen und einem Mann, das Seminar »Privatisierung«. Vier Tage. Das Thema wird am Beispiel des Wassermarktes und des GATS-Abkommens durchgespielt. GATS soll die internationalen Wassermärkte für Großunternehmen öffnen, Endziel ist die völlige Privatisierung des Gutes Wasser, überall. GATS ist nur ein beliebiges Beispiel, privatisiert wird schließlich fast alles, mit fast immer den gleichen Argumenten.
    Im Seminar, das wegen Überfüllung geteilt werden muss, trainiert man die Gegenargumentation. An der Wand hängen Zettel: »Dem anderen Fragen stellen!« »Tempo aus der Diskussion nehmen!« »Gegner dahin lenken, wo du dich sicher fühlst!« In Rollenspielen übernimmt man, bei fiktiven Podiumsdiskussionen, die verschiedenen Positionen  – jemand spielt Konzernsprecher, ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher