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Rollende Steine

Rollende Steine

Titel: Rollende Steine
Autoren: Terry Pratchett
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der Sache mit der mitternächtlichen Besucherin. Nach einer Weile glaubte Susanne, daß sie sich alles nur eingebildet hatte. Das war die einzige logische Erklärung. Auch in dieser Hinsicht war sie außerordentlich talentiert.
     
    Es heißt, jeder sucht etwas.
    Imp suchte ein Ziel.
    Ein Karren hatte ihn bis hierher gebracht und rumpelte nun über die Felder fort.
    Der Barde sah auf den Wegweiser. Ein Pfeil deutete nach Quirm, der andere nach Ankh-Morpork. Imps Kenntnisse über Ankh-Morpork waren eher beschränkt. Er wußte nur, daß es eine ziemlich große und auf Lehm erbaute Stadt war – das machte sie uninteressant für die Druiden in Imps Familie. Er hatte drei Dollar und etwas Kleingeld – damit kam er in Ankh-Morpork vermutlich nicht weit.
    Von Quirm wußte er, daß diese Region an der Küste lag. Der Weg dorthin schien nur selten benutzt zu werden, während die Straße nach Ankh-Morpork von Wagenrädern zerfurcht war.
    Es wäre zweifellos vernünftig gewesen, erst nach Quirm zu reisen, um dort das Stadtleben kennenzulernen. Es wäre vernünftig gewesen herauszufinden, wie Städter dachten und sich verhielten, bevor er sich nach Ankh-Morpork begab, der größten Stadt auf der ganzen Scheibenweit. Es wäre vernünftig gewesen, in Quirm Arbeit zu suchen und etwas Geld zu verdienen. Es wäre vernünftig gewesen, erst gehen zu lernen, bevor er zu laufen begann.
    Der gesunde Menschenverstand wies Imp auf all diese Dinge hin, und deshalb setzte er seinen Weg entschlossen in Richtung Ankh-Morpork fort.
     
    Was Susannes Aussehen betraf… Vielen Leuten schien sie wie eine Löwenzahnuhr, die sich anschickt, die Zeit anzuzeigen. Das Internat kleidete seine Schülerinnen in weite, marineblaue Wollkittel, die vom Hals bis zu den Fußknöcheln reichten – praktische, gesunde Kleidung und so attraktiv wie eine Holzplanke. Die Taille saß knapp überm Knie. Susanne hatte bereits damit begonnen, ihren Kittel auszufüllen, und zwar auf der Grundlage jener uralten Regeln, von denen Frau Delokus eher widerstrebend in Biologie und Hygiene berichtete. Nach ihrem Unterricht glaubten die Mädchen, sie müßten irgendwann ein Kaninchen heiraten. (Susanne verließ Frau Delokus’ Unterricht mit dem Gefühl, daß das Pappskelett in der einen Ecke des Klassenzimmers wie jemand aussah, den sie kannte…)
    Wegen ihrem Haar blieben die Leute oft stehen und sahen sich nach ihr um: Es war völlig weiß, bis auf einen schwarzen Streifen. Die Internatsvorschriften verlangten Zöpfe, doch Susannes Haar hatte die geradezu unheimliche Eigenschaft, immer wieder zur ursprünglichen Form zurückzukehren. In dieser Hinsicht ähnelte es den Schlangen der Medusa. 2
    Und dann das Muttermal. Wenn es wirklich ein Muttermal war. Es zeigte sich nur, wenn Susanne errötete: Dann erschienen drei blasse Striemen auf ihrer Wange, als hätte sie eine Ohrfeige erhalten. Wenn sie sich ärgerte – und sie ärgerte sich oft, meistens über die Dummheit der Welt –, glühten die Linien.
    Eigentlich war jetzt Literatur dran. Susanne verabscheute Literatur. Viel lieber las sie ein gutes Buch. Derzeit lag Logik und Paradox vor ihr, und bei der Lektüre stützte sie das Kinn auf die Hände.
    Mit halbem Ohr lauschte sie den Aktivitäten der übrigen Klasse.
    Gerade wurde ein Gedicht über Narzissen vorgelesen.
    Der Dichter hatte sie offenbar sehr gemocht.
    Susanne hatte klare Prinzipien. Dies war ein freies Land. Jeder konnte Gefallen an Narzissen finden, wenn er wollte. Doch nach Susannes sehr kategorischer Meinung durfte es niemandem erlaubt sein, auf mehr als einer Seite zu beschreiben, warum ihm Narzissen gefielen.
    Sie kümmerte sich wieder um ihre eigene Bildung. Ihrer Ansicht nach störte die Schule nur dabei.
    Um sie herum wurde die Vision des Dichters mit laienhaften Instrumenten auseinandergenommen.
     
    Die Küche war ebenso riesig wie Tods Arbeitszimmer und der Rest des Hauses. Ein ganzes Heer von Köchen hätte sich in ihr verirren können. Die fernen Wände blieben in den Schatten verborgen, und das Ofenrohr – getragen von verrußten Ketten und schmierigen Seilen – verschwand einen halben Kilometer über dem Boden in der Finsternis.
    Diesen Eindruck gewann der Besucher.
    Albert verbrachte seine Zeit in einem kleinen gekachelten Bereich, der genug Platz bot für Geschirrschrank, Tisch und Herd. Und für den Schaukelstuhl.
    »Wenn ein Mensch fragt: ›Wo liegt der Sinn des Ganzen?‹, dann geht’s ihm ziemlich dreckig«, sagte Albert, während er
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