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Rocking Horse Road (German Edition)

Rocking Horse Road (German Edition)

Titel: Rocking Horse Road (German Edition)
Autoren: Carl Nixon
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Telefonnummer. Als wir aufgefordert wurden, den Worten des Priesters zu antworten, fanden wir ohne jedes Nachdenken den besonderen Rhythmus der Kirche. Wir kamen uns vor wie Kinder, die in einem fremden Land aufgewachsen sind und wenn nötig jederzeit in dessen Sprache zurückfallen konnten.
    Wir konnten die Kirchenlieder noch, die wir, weil wir im Freien waren, ohne Begleitung sangen. Halt bot nur der Priester mit seinem wackeligen Tenor. Wir sangen aus voller Kehle mit. Wir konnten doch unseren Freund Pete nicht mit einem verlegenen Gemurmel verabschieden.
    And did the Countenance Divine Shine forth upon our clouded hills?
Ein- oder zweimal während wir Jerusalem sangen, wandten die Leute ihre Köpfe zu uns und schauten uns mit nervösem Lächeln an. Aber der Priester ließ sich von unserem Gegröle nicht stören.
    Bring me my bow of burning gold! Bring me my arrows of desire!
    Bring me my spear: O clouds unfold! Bring me my chariot of fire!
    I will not cease from mental fight,
    Nor shall my sword sleep in my hand ...
Danach konnte jeder, der etwas zu sagen hatte, aufstehen und reden. Aber wie faßt man eine Freundschaft, die ein ganzes Leben gedauert hatte, in Worte? Es schien nicht der richtige Zeitpunkt, um über die Suche nach Lucy Ashers Mörder zu sprechen. Und so verlegten wir uns auf Platitüden. Diejenigen von uns, die etwas gesagt hatten, setzten sich wieder mit dem unangenehmen Gefühl, nicht mehr vermocht zu haben, als Pete als einen ganz normalen Kumpel hinzustellen, der viel zu früh gestorben war. Wie immer, wie überall.
    Roy Moynahan war noch der beste von uns. Er ist inzwischen Journalist, arbeitet frei für North and South und ein paar andere Zeitschriften, wenn sie gut zahlen. Als Schriftsteller wußte Roy, daß es auf die Details ankam. Er sprach über einen Zwischenfall, der passierte, als Pete Anfang Dreißig war, und den die meisten von uns völlig vergessen hatten. Pete war in der Stadt im Kino gewesen, mit einer Frau, die er kurz nach der Trennung von seiner Frau kennengelernt hatte. Er sah, wie ein Mann auf offener Straße angegriffen wurde.
    »Der Mann lag auf dem Boden, und zwei Typen schlugen mit Fäusten auf ihn ein, schließlich traten sie ihn auch noch mit Füßen. Pete sagt der Frau, sie soll warten, wo sie ist. Er nimmt einen Zwanzigdollarschein aus seiner Brieftasche und geht zu den beiden Typen. Die hören mit der Prügelei auf und drehen sich zu ihm um, durchaus bereit, sich auf einen zweiten Gegner zu stürzen. Offenbar halten sie Pete für einen Freund des Manns auf dem Boden, der jetzt auf sie losgehen will. Doch Pete streckt dem nächsten der beiden den Geldschein hin und sagt:
    ›Ich glaube, der ist Ihnen runtergefallen.‹ Pete fragt, ob sie sich erinnern können, das Geld verloren zu haben. Der Schlauere der beiden sagt, natürlich erinnere er sich: ›Gleich da drüben war’s.‹ Er deutet in die Gegenrichtung zu der, woher Pete gekommen ist. ›Geht in Ordnung‹, sagt Pete und gibt ihm den Zwanziger. Jetzt hat auch der Mann am Boden begriffen, was gespielt wird. Er rappelt sich hoch, sieht kaum schlimmer aus als einer, der im Gedränge unter die Räder gekommen ist, allerdings in einem doch recht heftigen Gedränge. Er humpelt weg, so schnell er kann, und verschwindet in der nächsten Bar. Die beiden Typen registrieren das zwar, nehmen aber keine Notiz mehr von ihm. Was immer der Grund für den Streit mit ihm gewesen sein mag, scheint vergessen zu sein. Lachend ziehen sie in die andere Richtung ab.«
    Was Heldentaten anlangt, so war das sicher nicht gerade hochrangig, aber wir waren froh, daß Roy die Geschichte ausgegraben und gut erzählt hatte. Sie verlieh der Erinnerung an Pete eine Färbung, die uns richtig erschien.
    Roy schloß mit einem Zitat von Robert Louis Stevenson:
    »Heim ist der Seemann, heim von der See / Und der Jäger heim von dem Hügel.« Mit dem kalten Ostwind, der die Wolken über den Himmel trieb, und dem Möwengeschrei im Hintergrund kam uns auch das genau richtig vor. »Leb wohl, Pete«, sagte Roy, »ich hoffe, du weißt jetzt mehr als wir.« Die meisten der anderen Trauergäste schienen etwas irritiert, aber wir wußten, was Roy meinte. Er ging zu seinem Stuhl zurück, der, wie unsere auch, langsam in den weichen Frühlingsrasen einsank.
    Nach der Zeremonie trugen sechs von uns den Sarg hinein und setzten ihn in einer Pseudokapelle im Krematorium ab. Beim Rausgehen hinterließen wir eine Spur von nassem Gras auf dem frischgebohnerten
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