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Rittermord

Rittermord

Titel: Rittermord
Autoren: Edgar Noske
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Geschäft liege direkt am Orchheimer Tor, und da lohne es nicht, in die Stadt hineinzufahren. Als wir durch das Stadttor gingen, staunte ich nicht schlecht. So putzig hatte ich mir den Ort nicht vorgestellt. Aber mehr als die eine Straße bekam ich nicht zu sehen, denn Deutschs Bioladen befand sich gleich im dritten Haus zur Rechten. Auf einem Zettel an der Ladentür stand mit blauem Wachsmalstift geschrieben: »Wegen Trauerfall geschlossen«.
    »Das war bestimmt die Verkäuferin«, sagte Gina. »Die Frau Lingscheid. Die ist ’ne ganz treue Seele.«
    »Hat er da oben gewohnt?« fragte ich, weil sie zu den Fenstern über dem Laden hochblickte.
    Sie nickte, biß sich auf die Unterlippe und wandte das Gesicht ab. Deutsch war vor gerade mal sechsunddreißig Stunden ermordet worden, und ich war mir nicht sicher, ob Gina den Schock wirklich schon weggesteckt hatte oder nur die Eiserne spielte. Jedenfalls hatte sie ihr schwarzes Kostüm aus dem Schrank genommen und darauf bestanden, daß wir nach Bad Münstereifel fuhren, um in Geschäft und Wohnung nach dem rechten zu sehen. Jakob Deutsch, Josefs Bruder, wollte dazukommen.
    »Was hast du mit seinem Bruder ausgemacht? Daß wir vor dem Haus warten?«
    »Nein, nein, wir gehen rein.« Sie straffte ihre Schultern, atmete einmal durch und sperrte die Tür neben dem Laden auf. »Paß auf, hier wird’s ein bißchen eng. Im Treppenhaus stehen immer die Getränkekisten.«
    Um mich an den bis unter die Decke gestapelten Bierkisten voll Pinkus Müller und Bioland-Herzogenweizen sowie den Kartons mit Ahr-Spätburgunder und französischem Roten nach den Richtlinien von Nature et Progrès vorbeizwängen zu können, mußte ich den Bauch bis kurz vor die Wirbelsäule einziehen. Wie gut, daß ich nicht gefrühstückt hatte, ich wäre glatt steckengeblieben.
    Die Treppe war aus Holz und ächzte und knarrte bereits unter Ginas zarter Last. Als ich auch noch auf die Stufen trat, wurde jede Unterhaltung unmöglich.
    Im ersten Stock angekommen, hatte Gina Probleme mit dem Schloß der Wohnungstür.
    »Was ist?« fragte ich.
    »Der Schlüssel paßt nicht.«
    »Du wirst den falschen erwischt haben.«
    »Ich habe diese Tür hundertmal aufgeschlossen, da werde ich den Schlüssel wohl kennen.« Sie ging in die Hocke. »Das gibt’s doch nicht. Guck dir das an, Tom: irgendwer hat hier ein anderes Schloß eingebaut.«
    »Da kommt ja nur der Bruder in Frage«, sagte ich und kippte in den Flur, weil plötzlich die Tür aufging.
    Einen Sturz konnte ich vermeiden, indem ich mich an der Frau festhielt, die geöffnet hatte. Dabei rutschten meine Hände von ihren nassen Schultern ab, und um Haaresbreite hätte ich ihr das Badetuch runtergerissen.
    »Was ist denn das für ’ne Nummer?« fuhr sie mich an. »Wer sind Sie?«
    Die Frau hatte struppiges rötliches Haar, jede Menge Sommersprossen und lapislazuliblaue Augen. Ich schätzte sie auf Mitte zwanzig.
    »Tut mir leid«, sagte ich und schaute lieb. »Aber Sie haben derart –«
    »Und wer sind Sie?« fragte Gina dazwischen.
    »Ich bin Beate. Ich arbeite unten im Shop. Was läuft hier ab?«
    »Wo ist Frau Lingscheid?«
    »Bei mir in der Wanne sitzt sie nicht«, kam die schnippische Antwort. »Dürfte ich jetzt vielleicht erfahren, wer Sie –«
    Ich sah förmlich, wie bei ihr der Groschen fiel.
    »Ach du liebe Güte! Entschuldigen Sie. Sie sind Frau Echternach, stimmt’s? Kommen Sie doch erst mal rein.«
    Sie ließ uns vorbei, entschuldigte sich erneut und verschwand im Bad. Ich folgte Gina ins Wohnzimmer.
    Für meine Begriffe war Deutsch geschmackvoll eingerichtet. Geölter Dielenboden ohne Teppiche, auf Vordermann gebrachte alte Bauernmöbel, ein Schilfsofa, zwei Rattansessel, Drucke von alten Flugzeugen und Motorrädern und mehrere gerahmte Fotos ein und desselben Pferdes. Dazu der übliche Audio-Video-Kram. Bei den Vorhängen, der Tapete, den Polstern und der Tischdecke dominierten Gelb-, Beige- und Brauntöne. Gardinen gab es keine. Obwohl Gina die Einrichtung vertraut sein mußte, schnüffelte sie in allen Ecken. Plötzlich verschwand sie im Nebenraum.
    »Sie wohnt hier«, rief sie und kam mit einem Negligé in der Hand zurück. »Sie schläft in seinem Bett.«
    »Gina, bitte«, sagte ich und drückte sie aufs Sofa. »Vielleicht gibt es dafür eine ganz vernünftige Erklärung.«
    Beate kam herein. »Die gibt es auch.«
    Ihre Haare waren noch immer feucht, aber sie hatte Jeans und ein Sweatshirt übergezogen. Die Arme verschränkte sie vor der Brust,
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