Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ritter des dunklen Rufes

Titel: Ritter des dunklen Rufes
Autoren: David Gemmell
Vom Netzwerk:
herab: Über seine Brust verliefen vier flache Schnitte, die heftig geblutet und das Laken unter der Decke durchtränkt hatten. Als Patricaeus das Bettzeug beiseite schob, sah er, dass die Beine des Jungen mit getrocknetem Schlamm bedeckt waren.
    »Erklär mir das, Lug. Wo warst du, während ich geschlafen habe?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Lug. »Ich weiß überhaupt nichts. Ich will zu meiner Mutter! Bitte!« Der alte Mann setzte sich neben den weinenden Jungen und legte die Arme um ihn.
    »Es tut mir leid, Lug. Wirklich.«

1
     
    Auf dem Pass hielt der Reiter inne, der Wind tobte und heulte um die Berggipfel. Weit unter ihm erstreckte sich grün das Land der Gabala, gewundene Ströme und schimmernde Flüsse, Hügel und Täler, Wälder – alles war so, wie er es in Erinnerung hatte, wie es in seinen Träumen erschien, als riefe es ihm zu, er solle zurückkehren.
    »Nach Hause, Kuan«, flüsterte er, doch der Wind trug seine Worte davon, und der große, graue Hengst hörte ihn nicht. Der Reiter drückte leicht die Fersen in die Flanken des Pferdes und lehnte sich zurück, als es den langen Abstieg begann. Der Wind ließ nach, als sie sich der verlassenen Grenzfestung näherten, die Tore aus Eiche und Bronze hingen an geborstenen Angeln. Der Gabala-Adler war abgeschlagen worden – nur eine Flügelspitze war noch auf dem faulenden Holz zu sehen, von einer braungrünen Patina überzogen, so dass man sie kaum von dem Holz unterscheiden konnte.
    Hier stieg der Ritter ab. Er war hochgewachsen und trug einen langen Umhang mit Kapuze, ein schwerer Schal war um sein Gesicht geschlungen und hielt die Kapuze an ihrem Platz. Er führte den Hengst in die verfallene Festung und blieb vor der Statue von Manannan stehen. Der linke Arm war abgebrochen und lag auf den Pflastersteinen. Jemand hatte eine Axt oder einen Hammer genommen und auf das Gesicht eingeschlagen, das Kinn war zerschmettert, die Nase gespalten.
    »Wie schnell sie vergessen«, sagte der Neuankömmling. Als er seine Stimme hörte, kam der Hengst heran und schnupperte an seinem Rücken. Der Mann drehte sich um, streifte die dicken wollenen Handschuhe ab und streichelte den Hals des Pferdes. Hier unten war es wärmer, und so wickelte er den Schal ab und wand ihn um den Sattelknauf. Als er die Kapuze zurückschob, blitzte ein Sonnenstrahl auf dem silbernen Helm auf, den er trug.
    »Wir wollen sehen, wo wir etwas zu trinken für dich finden, Kuan«, sagte er und ging auf den Brunnen in der Mitte des Hofes zu. Der Eimer hatte sich in der Sonne verzogen, tiefe Risse zeigten sich unter den Eisenringen. Das Seil war zundertrocken, doch mit Vorsicht noch zu gebrauchen. Er durchsuchte die verlassenen Nebengebäude und kehrte mit einem irdenen Krug und einem tiefen Teller zurück, stellte den Krug in den Eimer und ließ diesen in den Brunnen hinab. Als er den Eimer behutsam wieder hochzog, strömte Wasser aus den Ritzen, doch der Krug war gefüllt, und er nahm ihn und trank in tiefen Zügen. Dann stellte er den Teller auf den Boden und füllte ihn. Der Hengst senkte den Kopf und trank. Der Reiter löste den Sattelgurt und goss noch mehr Wasser in den Teller, dann stieg er die Stufen des Schutzwalls hoch und setzte sich in die Sonne.
    Dies war das Ende des Reiches, das wusste er. Nicht die blutgetränkten Schlachtfelder, die kreischenden Horden, das unmelodische Klirren von Stahl auf Stahl. Nur der Staub, der über das Pflaster wehte, Statuen ohne Gliedmaßen, geborstene Eimer und Grabesstille.
    »Du hättest es gehasst, Samildanach«, sagte er. »Es hätte dir das Herz gebrochen.«
    Er versuchte festzustellen, ob er Kummer über den Untergang der Gabala verspürte. Aber da war kein Platz mehr … sein ganzer Kummer galt ihm selbst, als er auf seine Statue hinabblickte.
    Manannan, Ritter der Gabala. Einer der Neun. Größer als Fürsten, mehr als Menschen. Er griff in seine Hüfttasche, zog einen silbernen Spiegel hervor und hielt ihn vor sein Gesicht.
    Der Einstige Ritter blickte in seine tiefblauen Augen, in das kantige Gesicht und auf den silbernen Stahl, der es umgab. Der Federbusch zierte seinen Helm schon lange nicht mehr, er war in einem Scharmützel irgendwo im Norden abgeschlagen worden; das Visier, jetzt hochgeklappt, war von einer Axt im Fomorischen Krieg eingebeult worden. Die Runenzahl, die einst an der Seite hing, hatte es in einer Schlacht im Osten abgerissen. Er konnte sich an den Hieb nicht erinnern; es war nur einer von vielen, die er in den sechs
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher