Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
Sie ja nicht wissen.«
Rita wusste das wohl, wie es auf dem Dorf lief, aber sie hatte nicht die geringste Lust, das weiter zu vertiefen. Doch Karin Zwerger gab keine Ruhe und plapperte munter weiter.
»Als Frau hat man’s auf dem Dorf nicht immer leicht. Die Besten hauen irgendwann alle ab, der Rest heiratet. Und für die Deppen bleibt nicht mehr viel übrig. T rotzdem könnte ich nicht in der Stadt leben, Frau Zieschke. Oder oben im Norden …«
»Na ja, gibt Schlimmeres, Frau Zwerger.«
»Das werden Sie auch noch merken, wenn Sie mal in meinem A lter sind … wie wichtig das ist, Heimat.«
»Klar.«
Rita wusste, dass es unhöflich gewesen wäre, einfach aufzustehen und wegzugehen. A lso steckte sie sich auch eine Zigarette an und plauderte noch ein bisschen mit Frau Zwerger.
Es war schon kurz vor Mitternacht, als Rita und Karin Zwerger wieder in die Halle kamen. Karin hatte Rita da draußen im Mondlicht gnadenlos in Beschlag genommen, ihr ihr halbes Leben erzählt und die letzten Zigaretten weggeraucht. Rita war sich vorgekommen wie ein Seemann, der mit maroder Maschine einen Sturm abwettert und nur irgendwie versucht, in den nächsten Hafen zu kommen: Der konnte auch nicht einfach von Bord springen. Zeitweise hatte Rita befürchtet, Frau Zwerger könnte V erdacht geschöpft haben, aber nach und nach war ihr klar geworden, dass die liebe Frau Gattin einfach nur jemanden zum Reden gebraucht hatte. Heimat schützte eben nicht vor Einsamkeit.
Rita wollte nur schnell noch ihre Handtasche holen, die sie in der Halle liegen gelassen hatte, als sie sah, wie Karl Zwerger auf das Podium ging und das Mikrofon vom Ständer riss. In seinen Bewegungen lagen etwas ungekannt Energisches und zugleich ein Hauch von W ahnsinn, den sie so noch nicht bei ihm erlebt hatte. Rita fragte sich, ob er sich vielleicht selbst etwas zu viel von seinem Freibier genehmigt gehabt haben könnte. Zwerger plärrte förmlich ins Mikrofon und forderte inquisitorisch Ruhe ein. Die W eissachtaler Buben verstummten abrupt, nicht einmal der T rompeter Eberle trötete nach. Es herrschte eine geradezu gespenstische Stille in der Halle. Zwerger glotzte in die Menge, nahm das Mikrofon ganz dicht an den Mund und flüsterte hinein.
»Leute, ich muss euch was sagen: Ich hab gestern Mittag den Konkurs angemeldet. Die Kosten fressen alles auf, die Bank hat mir den Hahn zugedreht. T ut mir wahnsinnig leid für euch. Ich wollt halt, dass wir dieses Fest noch miteinander feiern.«
Die Stille hielt an, war zum Schneiden dick, und Ritas Hoffnung, es könnte sich um einen ganz schlechten Scherz handeln, schwand mit dem blitzschnellen Blick, den Zwerger ihr quer durch die Halle zuwarf.
Karin Zwerger stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. »Was redest du denn da, Karl?!«, rief sie mit hoher Stimme durch die Halle.
Zwerger zeigte keine Reaktion, und Karin ging auf Rita zu, sie schien förmlich zu beben.
»Was redet mein Mann da, Frau Zieschke? Konkurs, das ist doch völlig unmöglich!«
Rita zuckte hilflos mit den Schultern.
»Ich weiß auch von nichts, Frau Zwerger.«
»Das kann doch gar nicht sein, die Bilanzen sind gut gewesen in letzter Zeit, und das Grundstück ist ja auch noch da, da kann die Bank doch nicht einfach den Kredit sperren! Das gibt es doch gar nicht!«
Rita wusste nichts darauf zu sagen, sie spürte nur, dass hier irgendetwas ganz und gar aus dem Ruder lief. Sie sah hinauf zu Zwerger, der mit einem fast irren Lächeln um den Mund auf der Bühne stand wie ein kleiner Junge, der soeben den größten Knallfrosch seines Lebens losgelassen hat.
Mitten in die absurde Stille hinein fing Ewald Fricker an, mit seinem A kkordeon das c-Moll-Präludium von Johann Sebastian Bach zu spielen, ganz leise, und rief dabei lachend ins Publikum:
»Wenn ich nächste W och’ die Deutsche Meisterschaft gewonnen hab, dann schwätzt sowieso keiner mehr vom Konkurs!«
Dann haute er seinem A kkordeon die Sporen in die T asten und setzte sich fett und dick drauf auf die Synkopen, ohne natürlich zu wissen, was eine Synkope war. Zwerger sah ihn an wie einen armen Irren.
In diesem Moment kamen Schorsch und Bene mit der Fiat-Allis in die Halle gefahren und blieben am Eingang stehen. A lle Blicke wandten sich zu der Raupe um. Sie sah aus wie ein notdürftig zurechtgemachter Formel-1-Ferrari, das Chassis und die Karosserie waren dilettantisch rot besprüht, und flächendeckend waren unzählige A ufkleber wie »Liquy Moly« oder »Parmalat« draufgepappt,
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