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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Autoren: Lars Gustafsson
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ich sie zwei oder drei Mal geschehen sehen: und das seltsame ist, daß sie sich so deutlich von jedem anderen Ereignis unterscheiden, wenn sie sich begeben, daß man sie keinen Augenblick lang verkennen kann.
    Eins dieser Wunder geschieht jetzt.
    (Und mit dem seltsamen Gefühl, daß es als eine Art wohlwollende Machtdemonstration eintraf, daß das Ganze als freundlicher, aber ernstgemeinter Fingerzeig für mich bestimmt war, der ich vor meiner eigenen Rettung davonzulaufen versuchte, sah ich es kommen.)
     
    Ein Großteil der Passagiere war jetzt aufgestanden, ich sah das mütterliche Wesen, das mich vor kurzem beschützt hatte, nach dem freundlich gemeinten »Auf Wiedersehen« sich auf den Ausgang zubewegen. Da scheppert es im Lautsprecher, und ich höre die sonore, metallische Stimme der Stewardeß: – Meine Damen und Herren! Eine Maschine, die direkt vor uns steht, muß starten. Aufgrund der Sicherheitsvorschriften muß ich Sie deshalb leider bitten, sich freundlicherweise noch einen Augenblick auf Ihre Plätze zu setzen.
    Wir setzen uns, wir setzen uns wie zwei Begnadigte. Und atemlos sage ich:
– Sie sind in Frankfurt gewesen?
– Ja. Ich war auf der Buchmesse.
– Ich auch. Aber ich bin davongefahren.
– Kennen Sie den Dozenten Janos Elbert in Budapest?
     
    (Ich habe sie einmal, viel später, gefragt, wie sie auf die wahnwitzige Idee kommen konnte, diese Frage zu stellen, und da hat sie mir versichert, das sei absolut die einzige gewesen, die ihr überhaupt ein-fiel.)
     
    Im letzten Frühjahr hatte ich zwei Wochen in Budapest verbracht, auf die Einladung des ungarischen Schriftstellervereins hin hatte ich nächtelang in verräucherten Cafés bei Czardasmusik und leisen Gesprächen mit ungarischen Intellektuellen gesessen, ich hatte den PEN-Club und den Schriftstellerverein besucht, ich hatte atemlos dem mageren, intensiven Georg Lukács in seiner Wohnung in Budapest gelauscht, ich hatte die seltsamen blauen Nebel gesehen, die in der Dämmerung die unwirklich breiten Boulevards einhüllen. Ein paar schöne Frühlingstage lang war ich durch das grüne Hügelland gefahren, vorbei an der Donaubiegung, wo langmähnige Pferde auf den Sandbänken des Flusses weiden, über das schöne Visjagrad mit den Ruinen von König Matthias’ rotem Palast, immer weiter flußabwärts bis in die Gegenden, wo der seltsame Balaton mit seinem milchweißen Wasser alles Licht zum Himmel zurückwirft.
    Ich hatte Dutzende von Intellektuellen getroffen, Verleger, Redakteure, Journalisten mit gelbgefleckten Fingern, liebenswerte alte Lyriker, die darüber klagten, daß es unmöglich sei, Limericks in ungarischer Sprache zu verfassen. Ich hatte gehört, wie die Regierung gepriesen und verflucht wurde, wie die neue ökonomische Politik als terroristisch dargestellt wurde oder als Riesenfortschritt, als stalinistisch, als liberal, als freidenkerisch.
    Zusammen mit dem alternden Meister Tibor Déry hatte ich einen blühenden Feigenbaum betrachtet und hatte ihn reden hören über seine Müdigkeit und darüber, daß er keinen Hunger auf die Welt mehr habe, daß keine Reise ihn mehr locken könne, hatte ihn erzählen hören vom Glockenklang, der am Feiertagabend in Wellen an den Weinbergen des frühlingshaften Balaton entlangschwebt.
    Und auf all diesen Reisen, bei all diesen Gesprächen hatte ich einen Mann zum Begleiter, der mir nicht von der Seite wich, den klugen, freundlichen Dozenten für Slawistik und Redakteur bei Nágyvilag, Doktor Janos Elbert.
    Janos Elbert mit den häßlichen, vortretenden Vorderzähnen, die einen in den ersten beiden Tagen unentwegt dazu brachten, sich zu fragen, wie er es anstellen mochte, ein Käsebrot zu essen, Janos Elbert, der jahrelang im Nachtzug die hundertzwanzig Kilometer lange Strecke zwischen Zagreb und Budapest fuhr und von einem englischen Kollegen gefragt wurde:
    – Did you get time to get your pyjama on, really?
    Janos Elbert mit seiner schönen Frau Susie, die einer dunklen Madonna auf einem mittelalterlichen ungarischen Altar glich, der kleine Janoˇcka mit seinem sprudelnden Geplapper und seinem kleinen abgenutzten Spielzeugauto unterm Arm
    und wie noch von der Terrasse des Flughafengebäudes der kleine Janoˇcka mir mit seinem roten Auto zugewinkt hatte...
     
    – Ja, antwortete ich. Den Dozenten Janos Elbert kenne ich sehr gut. – Was halten Sie von seinen Zähnen?

Das Haus an der Fregestraße
     
    Graubrauner Nebel wälzte sich draußen vor den hochgewölbten Rundbögen Tempelhofs,
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