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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Autoren: Lars Gustafsson
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hundert Jahre, die sie lebte, hat sie, glaube ich, niemals einen Grund dafür gesehen, sich zu fragen, warum sie existierte. Ja gewiß, sie hatte ihre Religion, und die erklärte natürlich alles.
    Habe begonnen (sogar beim Kaufmann), den Menschen in die Augen zu sehen, als habe ihr Blick irgendwas Besonderes zu sagen, ich meine, als könne man irgendeine Antwort daran ablesen.
    Das hat seinen Grund in der eigentümlichen Idee, sie könnten vielleicht etwas sehen, was ich nicht sehe.
     
    Gestern kam eine kleine Eidechse auf den rückwärtigen Balkon und wärmte sich im Aprillicht.
    Sie saß ganz still. Ich weiß nicht, ob ich mich geirrt habe, aber ich hatte den Eindruck, sie verändere tatsächlich ihre Farbe je nach den verschiedenen silbergrauen Schattierungen der Bretter.
    Ich legte mich auf den Bauch und sah sie mir ein bißchen genauer an. Da entdeckte ich das winzige Auge.
    Es hatte eine Schwärze anderer Art, die hellwache, nüchterne Schwärze der Reptilien.
    Verglichen mit dem Auge eines Reptils wirkt das Auge eines Säugetiers verschwommen, halb berauscht von den warmen Kräften des Lebens.
    Ein Reptil schaut mit nüchternem Blick direkt in die Dunkelheit hinaus.
    Weiß der Himmel, was es sieht. Etwas – anderes?
    (Das blaue Buch VII:12
    [die letzte Aufzeichnung])

 
     
     
    ...seit drei Uhr nachts immer intensiver von dem alten Punkt aus, mit Ausläufern zu den Schenkeln und zum Zwerchfell hin, zuerst in den gewohnten Stärkegraden, dann bis zu »weißglühenden«.
    Ich habe gewußt, daß ich nur eine Pause bekommen hatte.
    Sonderbarerweise habe ich das Gefühl, sie gut genutzt zu haben.
    (Das beschädigte Buch II:1)

 
     
     
    Krankenwagen 90.000.
    Zentralklinik 137.100 (Zentrale)
    (Das beschädigte Buch II:2)

 
     
     
    Erbreche alles mit einer Art hartnäckiger Regelmäßigkeit. Sogar Honigwasser. Aber in sehr kleinen Schlucken geht es. Leichtes Fieber.
    Gang zum Briefkasten – wie eine Polarexpedition.
    (Das beschädigte Buch II:3)

 
     
     
    Habe den Hund zu den Olssons im Skrivar-Hof gegeben. Kurzer, eigentümlicher Abschied. Er hatte einen halben Käse als Abschiedsgeschenk bekommen, schien trotzdem irgendwie zerstreut und uninteressiert zu sein. Schleppte den Käse von einer Ecke des Zimmers in die andere. War unruhig, jaulte. Wird es gut haben.
    (Das beschädigte Buch II:4)

 
     
     
    Good night, ladies. Für drei Tage war es verschwunden, kommt aber jetzt wieder, in immer kürzeren Abständen.
    Die unangenehme Ähnlichkeit zwischen Schmerz und Lust. Beide erobern die gesamte Aufmerksamkeit, man sieht nichts anderes mehr. Er ist wie eine geliebte Frau. Nachrichten, Wetter, die Veränderungen in der Natur, sogar die Angst vermag er auszulöschen. Er ist ein Reich, in dem endgültig Wahrheit herrscht.
    Jetzt schauen ein wenig öfter Leute herein, sie sprechen ganz aufrichtig davon, daß ich ins Krankenhaus fahren sollte. Sie sind praktisch, die Leute im nördlichen Västmanland. Man sagt auf västmanländisch nie: »Er ist gestorben«. Man sagt: »Er ist totgegangen«. Sie haben Angst, daß ich »totgehen« werde.
    Kann nicht mehr Zeitung lesen. Ich lese, d.h. ich lasse den Blick von Wort zu Wort wandern, aber jedes Wort enthält nichts als Schmerz. Schlimmer ist das Gefühl, daß es mich nichts angeht. In den letzten Tagen reden sie von etwas, das sie »Informationsbüro« * nennen. Ihre Probleme sind nicht mehr die meinen. Ich möchte wissen, was dieses »Informationsbüro« ist. Ich stelle mir ein Büro vor, das alle Fragen beantworten kann:
    Warum gerade ich?
    Warum gerade ich sterblich?
    Warum gerade ich diesen Schmerz?
    Warum gerade ich identisch mit diesem Schmerz?
    Warum gerade ich identisch mit jemand, der diesen Schmerz empfindet?
    Warum?
    (Das beschädigte Buch 11:5)
     
    * »Informationsbyran«: Der schwedische Geheimdienst (Anm. d. Ü.)

 
     
     
    Das Problem mit diesen Frauen: Sie haben gespürt, daß ich viel zuwenig wollte. Frauen sind zu allem bereit, wenn sie spüren, daß man es will.
    Ich habe viel zu wenig gewollt. Mein ganzes Leben lang. Die Leute haben nie das Gefühl gehabt, ich hätte irgendein Anliegen an sie. Die letzten drei Monate haben mich wirklich gemacht. Das ist furchtbar.
    (Das beschädigte Buch III:1)

 
     
     
    Die ganze Nacht lang erbrochen. Der letzte April. Verfärbungen der Haut an den Unterarmen. Große braune Flecken.
    Heute wurde mir klar, wie lächerlich die ganze Idee des Selbstmords ist.
    Es gibt überhaupt keine Auswege. Wir sind ganz
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