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Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)

Titel: Risse in der Mauer: Fünf Romane (German Edition)
Autoren: Lars Gustafsson
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großen Meerestiefen, und dann Dunkelheit. Dunkelheit, Dunkelheit.
    Aber kein bedrohliches Dunkel. Eine mütterliche Dunkelheit.
    (Das blaue Buch IV:9)

 
     
     
    In letzter Zeit habe ich oft einen eigentümlichen Traum gehabt. Er handelt von einem der Bienenstöcke. Ich hebe den Deckel ab und beginne die Rahmen abzubürsten, um den Stock auszunehmen. Als ich gerade eine Biene von der Rahmenkante streifen will, entdecke ich, daß sie irgendwie merkwürdig aussieht, gleichsam bläulich schimmernd. Zuerst kapiere ich überhaupt nicht, was los ist, dann schaue ich genauer hin und merke, daß keine einzige von den Bienen eine Biene ist.
    Es handelt sich um eine ganz andere Art, um irgendwelche sehr intelligente, technisch ungeheuer weit fortgeschrittene Wesen aus dem äußeren Weltraum, aus einer fernen Galaxis. Sie haben den Bienenstock ganz einfach in Besitz genommen – weiß der Teufel, was mit den normalen Bienen passiert ist, aber auch diese Wesen scheinen es gewohnt zu sein, in wachsartigen Zellen zu leben.
    Sie unterhalten sich ohne die geringsten Schwierigkeiten mit mir, und ich begreife nicht recht, wie das möglich ist. Sie stammen aus einer Zivilisation von klugen Insekten. Ihr gesamter Planet ist von einer explodierenden Supernova zerstört worden, sie haben keine Raumschiffe, sondern fliegen mit Lichtgeschwindigkeit mit ihren eigenen Körpern, wenn sie wollen. In der Erdatmosphäre können sie das aber nicht tun, es würde zu einer zu großen Erhitzung führen.
    Ihre glänzenden Panzer leuchten wie Ritterrüstungen. Was sagen sie?
    WIR FANGEN NOCH EINMAL AN, WIR GEBEN NICHT AUF.
    (Das blaue Buch IV:10)

 
     
     
    5
    Als Gott erwachte

 
     
     
    Ungefähr so, wie eine kleine Spinne zuweilen in einer Ecke des Netzes schläft, das sie sich gebaut hat, schlief Gott zwanzig Millionen Jahre lang in einem fernen Winkel des Universums.
    Diese Region war sehr arm an Galaxien. Nichts störte ihren Schlaf. Sie schwebte dort wie eine riesige Schirmqualle, dreizehn Parsek im Querschnitt, wunderbar anzusehen mit ihren ständig wechselnden rosa, grünen und tiefblauen Farbtönen, die unter der durchsichtigen Oberfläche des Schirms schillerten.
    Dem gesamten bodenlosen All, das sich Lichtjahre weit in allen Richtungen um sie her ausbreitete, verlieh sie eine Art Frische. Ohne daß sie greifbar gewesen wäre, hätte ein Reisender ihre Nähe doch spüren können, ungefähr so wie man es spürt, wenn man sich an einem sonnigen Sommertag vom Landesinneren her der Küste nähert oder unbekümmert durch einen frischen Frühlingsregen geht und sich das Wasser übers Gesicht laufen läßt. Sie verlieh dem leeren Raum ein eigentümliches Gefühl von Frische, von jungem Grün, ja von Verliebtheit.
    Aber während dieser zwanzig Millionen Jahre kam kein Reisender in diese fernen Gegenden, die nicht nur weit unter unserem optischen Horizont, sondern auch weit unter dem Radiohorizont liegen.
    Für dieses wunderbare und einzigartige Wesen, das älter als das Universum und gegenüber Raum und Zeit eigentlich fremd war, das zugleich älter und jünger als alles Erschaffene, größer als der gesamte Weltraum und kleiner als das kleinste Elementarteilchen war, bedeuteten zwanzig Millionen Jahre Schlaf weniger als Schlaf. Ein Augenblick der Abwesenheit, so wie wenn ein Autofahrer für einen Moment den Blick von der Straße nimmt, um etwas zu überdenken.
     
    Als das höchste Wesen seine Aufmerksamkeit wieder auf die Welt richtete, waren alle Wahrnehmungen noch die gleichen. Das tiefe, pulsierende Rauschen einiger periodischer Radioquellen in der nächsten Galaxis bildete den Hintergrund für eine unendliche Menge von feineren Empfindungen. Die leichten Energieveränderungen der Sonnen kamen und gingen wie der Wind im Laub eines Espenwäldchens, und wie der dumpfe Aufprall der Wellen an einem nächtlichen Kai ertönten aus fernen Regionen die Gravitationskollapse zusammenstürzender Supernovae.
    Und als höchste aller Frequenzen, etwa wie Tausende von Grillen und Heuschrecken auf einer Wiese, die Gedanken aus all den bewohnten Welten.
    Unter all diesen Geräuschen gab es einen Ton, einen sehr fernen, sehr schwachen, den sie zuerst überhaupt nicht wahrnahm. Aber bei all seiner Schwäche und Winzigkeit war dieser Ton so durchdringend, daß er ihre Aufmerksamkeit erregte, als sie ihn erst einmal bemerkt hatte. Noch einen Augenblick zuvor war er nicht dagewesen. Er war so klagend, daß er einen Schauer von etwas, das mit menschlichen
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