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Risotto Mit Otto

Titel: Risotto Mit Otto
Autoren: Angela Troni
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jenseits der Alpen entlassen wollte. Abendelang hatten wir diskutiert, überlegt, gerungen. Hatte mein Vater auf seinem kategorischen »Nein!« bestanden. Hatte meine Mutter mit Engelszungen auf ihn eingeredet. Hatte ich Millimeter um Millimeter um ein Stückchen libertá gekämpft – und gesiegt. Die Freiheit rief, und ich war mehr als bereit, dem Ruf zu folgen, auch wenn er mich nach München und nicht nach Berlin führte.
    Am Ende wollten meine Eltern mich tatsächlich ziehen lassen, schweren Herzens und unter einer Bedingung: Ich sollte bei Signor Colluti wohnen, einem Schulfreund vom Chef meines Vaters, der vor über dreißig Jahren nach Deutschland ausgewandert war. Er hatte eine Münchnerin geheiratet, war inzwischen jedoch verwitwet und konnte eine Gesellschafterin gut gebrauchen. Was ich mir konkret darunter vorzustellen hatte, war mir zwar ein Rätsel, aber ich hätte alles getan, um den Eisenketten meines überbesorgten Vaters zu entkommen. Sogar die Angst vor meiner eigenen Courage überwunden. Die Seriosität des fremden Herrn hatte meine Eltern schließlich überzeugt, ebenso wie der günstige Mietzins natürlich: meine werte Gesellschaft plus hundertfünfzig Euro gegen ein Bett, einen Schrank und einen ausrangierten Schreibtisch. Babbos Chef und Signor Colluti waren sich jedenfalls sehr schnell handelseinig geworden, und mein Vater hatte seinem Boss das heilige Versprechen abgerungen, dass seiner »Kleinen« nichts passiere. Anschließend hatte er den Landsmann, mit dem er in den letzten Wochen gefühlte hundert Telefonate geführt hatte, noch eindringlich gebeten, ein gestrenges Auge auf seine wertvolle Tochter zu haben. Was dieser selbstverständlich zugesichert hatte.
    »Ha, wusst ich’s doch, ein Unfall!«, rief babbo und holte mich aus meinen Gedanken zurück. »Gleich fließt der Verkehr wieder«, sagte er zufrieden und warf mir im Rückspiegel einen vielsagenden Blick zu.
    Ich wusste genau, was er damit ausdrücken wollte: Ich hatte mich mal wieder völlig umsonst aufgeregt. Pah, dachte ich nur, ich bin eben impulsiv.
    »Na also«, blies mamma ins selbe Horn, ehe ich ihm eine passende Antwort geben konnte. »Siehst du, alles wird gut, und du erreichst deinen Zug auf jeden Fall.«
    »Ja, ja«, sagte ich nur und betrachtete die vorbeiziehenden Oleanderbüsche, die in der Mitte der Autobahn um die Wette blühten.
    Wie es wohl in München aussah? Ich hatte zwar ein bisschen im Internet gesurft und war sehr beeindruckt von den prächtigen Bauten in der Innenstadt, allen voran von dem neugotischen Rathaus mit seinen vielen Türmchen und Spitzen, das aussah wie aus Disneyland geklaut. Auch das Siegestor, der Dom und die vielen Kirchen und alten Gebäude gefielen mir, und auf Google Earth hatte die Stadt vor allem sehr grün gewirkt. Dieser Englische Garten schien unendlich groß zu sein, dagegen war selbst der Parco della Resistenza in Riccione ein Witz, und den fanden wir schon riesig.
    Hoffentlich sind die Leute dort nett und nicht so verstockt, wie man es den Deutschen, vor allem den Bayern, gerne nachsagt. Viel Ahnung von dem, was mich erwartete, hatte ich ehrlich gesagt nicht, da die »Kartoffeln«, wie wir die Teutonen nach ihrem bevorzugten Grundnahrungsmittel nannten, schon lange nicht mehr an der italienischen Adria Urlaub machten. Die goldenen Zeiten der sechziger und siebziger Jahre, als die Deutschen in ihren Isettas und VW-Käfern über die Alpen gekrochen und in wahren Massen bei uns eingefallen waren, waren lange vorbei.
    Zio Gaetano, der ältere Bruder meines Vaters und ein eingefleischter Junggeselle, wurde nicht müde, von den hübschen deutschen Urlauberinnen vergangener Tage zu schwärmen. »›Bella bionda‹« , haben wir ihnen hinterhergerufen«, verriet er dem versammelten Nachwuchs bei jedem Familientreffen seine ganz persönlichen Flirttricks, »und schon hatten wir sie an der Angel. Hier ein Kompliment, da ein Lächeln, dazu ein Blick oder eine zufällige Berührung, und die signorine tedesche waren wie Wachs in meinen Händen. Die haben ja förmlich nach ein bisschen Zuneigung gedürstet, so ausgehungert, wie sie an der Seite ihrer dickbäuchigen, stoffeligen Ehemänner waren. Die Ärmsten mussten wir einfach verführen, damit sie auch mal was Schönes erlebten.«
    Bei besagten Familienzusammenkünften bedauerte er jedes Mal zutiefst, dass sein einziger Bruder es nicht zu männlichen Nachkommen gebracht hatte, denn dann hätte er sein gesammeltes wertvolles Wissen an die
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