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Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Titel: Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)
Autoren: Gerd Gigerenzer
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-Schwester die Teampause vor dem Schnitt aus, um die Checkliste durchzugehen.
    ›Ist ihr während der letzten sechzig Minuten ein Antibiotikum gegeben worden?‹, fragte ich, indem ich die entsprechenden Sätze von einem Wandposter ablas.
    ›Oh, richtig, hm, ja, kriegt sie sofort‹, erwiderte der Anästhesie-Assistenzarzt.«
    Checklisten retten Menschenleben kostengünstig und ohne zusätzliche Technik. Man sollte meinen, dass mittlerweile, viele Jahre später, jedes Krankenhaus Checklisten zur Verbesserung der Patientensicherheit verwendet. Keineswegs. Die Begeisterung hält sich in Grenzen, und Checklisten sind eher die Ausnahme als die Regel. Pronovost wurde gefragt, wann man denn Checklisten in der Hand der meisten Ärzte und Krankenschwestern erwarten dürfe. Seine resignierte Antwort lautete: »Beim gegenwärtigen Tempo wird das nie der Fall sein.« Würde ein neues Medikament entdeckt, das die Infektionsgefahr so wirksam eindämmen könnte, so ginge die Nachricht wie ein Lauffeuer um die Welt, und jede Intensivstation würde sich, unabhängig von den Kosten, große Bestände davon zulegen.
    Im Laufe unseres Lebens werden die meisten von uns irgendwann schwach und hilflos zwischen den Glaswänden einer Intensivstation landen. Einige werden einen Katheter gesetzt bekommen, und wer Pech hat, stirbt daran. Diese Leben könnten gerettet werden, aber es geschieht nicht. Die Patientensicherheit scheint in vielen Krankenhäusern keine Priorität zu genießen. Es gibt allerdings etwas, was viele Patienten machen könnten, um diese Situation zu verändern:
    Frage nach, ob Checklisten verwendet werden; wenn die Antwort Nein ist oder keine kommt, dann wähle ein anderes Krankenhaus.
    Warum werden Checklisten in jedem Cockpit, aber nicht auf jeder Intensivstation verwendet? In beiden Fällen sind es im Wesentlichen Wirtschaftsunternehmen, warum also ist es dann so viel sicherer in einem Flugzeug als in einem Krankenhaus? Die Antwort ist in den unterschiedlichen Fehlerkulturen zu suchen. Erstens ist die hierarchische Struktur in Krankenhäusern kein fruchtbarer Boden für Checklisten, bei denen es, wie erwähnt, unter Umständen erforderlich ist, dass eine Krankenschwester, eine weibliche Angestellte, einen Chirurgen, einen männlichen Vorgesetzten, an das Händewaschen erinnert. Zweitens betreffen die Konsequenzen im Flugzeug beide Parteien: Wenn die Passagiere bei einem Absturz sterben, teilen die Piloten deren Schicksal; wenn Patienten sterben, ist das Leben von Ärzten nicht in Gefahr. Drittens: Wenn ein Flugzeug abstürzt, wird darüber auf den Titelseiten berichtet, und die Fluggesellschaft wird weniger gebucht werden; wenn Patienten an vermeidbaren Kunstfehlern sterben, handelt es sich um Ereignisse, über die zwar gelegentlich berichtet wird, die aber selten in die Schlagzeilen oder ins öffentliche Bewusstsein gelangen.
    Im Gegensatz zu einer Fluggesellschaft hat ein wirtschaftlich geführtes Krankenhaus also kaum mit finanziellen Konsequenzen zu rechnen. Je mehr die Medizin als profitables Geschäft verstanden wird, desto weniger Bedeutung wird der Patientensicherheit zugemessen. Für Manager, die versuchen, die Gewinne eines Krankenhauses zu maximieren, hat die Infektionsvorbeugung keine Priorität. Anders als mit Medikamenten und Hightech-Ausrüstung ist für das Heer von Vertretern, die an die Türen der Großkliniken klopfen, mit Checklisten wenig Geld zu machen. Als dagegen silberbeschichtete zentrale Venenkatheter angeboten wurden, waren die Krankenhäuser bereit, Zigmillionen Dollar für sie auszugeben, obwohl sie die Infektionen nur marginal reduzierten. 58
    Die Medizin ist zu sehr zum Geschäft geworden, dadurch ist die optimale Versorgung des Patienten in den Hintergrund gerückt. Das ist eine gefährliche Entwicklung, welche die Patienten das Vertrauen in das System verlieren lässt. Umgekehrt kann eine positive Fehlerkultur den gegenteiligen Effekt haben, wie der folgende Fall zeigt. Der Chirurgieprofessor Matthias Rothmund machte einmal einen großen Fehler. 59 Als einer seiner Patienten einige Tage nach einer erfolgreichen Tumoroperation untersucht wurde, zeigte das Röntgenbild, dass eine Wundklammer irrtümlich im Körper des Patienten vergessen worden war. Augenblicklich informierte Rothmund den Patienten, entfernte die Klammer und unterrichtete seine Versicherung, woraufhin der Patient eine Entschädigung erhielt. Die Erinnerung an diesen Fehler verfolgte den Chirurgen noch lange Zeit. Fünf
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