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Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)

Titel: Risiko: Wie man die richtigen Entscheidungen trifft (German Edition)
Autoren: Gerd Gigerenzer
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Jahre später suchte ihn der Patient wieder auf und bat ihn, dass er seinen Leistenbruch operieren solle. Rothmund war überrascht. Der Patient erklärte, er vertraue Rothmund und seinem Krankenhaus, eben weil sie ihren Fehler sofort zugegeben und behoben hätten.
    Als Rothmund Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie wurde, eröffnete er eine Tagung mit dem Hinweis, dass in den USA jedes Jahr 44000 bis 98000 Patienten an vermeidbaren Kunstfehlern sterben – wie weiter oben schon erwähnt wurde. Die Neuigkeit schlug ein wie eine Bombe. Augenblicklich wurde er von seinen Kollegen angegriffen, weil er Fakten über Patientensicherheit öffentlich verbreitete, und die Presse zog über den gesamten ärztlichen Berufsstand und seine schludrige Arbeit her, statt Rothmund für seine Offenheit zu loben. Null Toleranz gegenüber offener Erörterung von Fehlern erzeugt mehr Fehler und weniger Patientensicherheit. Als Rothmund die Klammer vergaß, zählte niemand die Instrumente im Anschluss an eine Operation. Nach diesem Unfall etablierte er in seiner Klinik eine Fehlerkultur: Die Instrumente wurden gezählt, die Fehler offen angesprochen und ihre Ursachen herausgefunden, um sie in Zukunft zu vermeiden.
    Defensives Entscheiden
    Viele Ausschusssitzungen enden mit den Worten: »Wir brauchen mehr Daten.« Alles nickt, stößt einen Seufzer der Erleichterung aus und ist glücklich, dass die Entscheidung hinausgeschoben wurde. Etwa eine Woche später, wenn die Daten vorliegen, ist die Gruppe noch keinen Schritt weiter. Alle verschwenden ihre Zeit mit einer neuen Sitzung, mit Warten auf noch mehr Daten. Schuld daran ist eine negative Fehlerkultur, in der allen der Mut zu einer Entscheidung fehlt, für die sie möglicherweise verantwortlich gemacht werden könnten. Keine Entscheidung zu treffen oder sie hinauszuzögern, um der Verantwortung aus dem Weg zu gehen, ist defensives Entscheiden in Reinkultur. Wenn etwas schiefgeht, hat jemand anderer die Entscheidung getroffen. Doch es gibt noch subtilere und intelligentere Strategien. Die Furcht vor Prozessen und Haftung hat die defensive Entscheidungsfindung zu einer Kunstform werden lassen. Es ist die moderne Kunst der Selbstverteidigung auf Kosten des Unternehmens, des Steuerzahlers oder des Patienten.
    Den Zweitbesten einstellen
    Ein Freund von mir arbeitete für eine internationale Hilfsorganisation, die viel Gutes tut. Ehrenamtlich tätige Ärzte und Krankenschwestern versorgen Opfer von Katastrophen und Kriegen überall auf der Welt. Um unverzüglich auf Notfälle reagieren zu können, muss die Organisation in der Lage sein, eine Krise rasch einzuschätzen und unabhängig von politischen Interessen zu entscheiden, welche Bedürfnisse die betroffenen Menschen haben. Wie viele finanziell unabhängige Hilfsorganisationen lebt auch diese von Spenden. Spender wollen sicher sein, dass ihr Geld zweckentsprechend ausgegeben und nicht verschwendet wird. Um sie zu beruhigen, beauftragt die Organisation Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, ihre Mittelverwendung zu überprüfen und zu beglaubigen.
    Welches Wirtschaftsprüfungsunternehmen soll man wählen? In einem Fall standen zwei Unternehmen zur Wahl: eine lokale, gut unterrichtete Firma, die sich mit einem vernünftigen Preis begnügte, und eine große, internationale Gesellschaft mit einem großen Namen und höherem Preis. Die einheimische Firma wollte erfahrene Spezialisten schicken, das große Unternehmen hingegen junge Mitarbeiter, die vergleichsweise geringe Kenntnisse besaßen. Die beste Entscheidung scheint auf der Hand zu liegen: dem örtlichen Unternehmen den Auftrag zu geben und damit eine bessere Qualität für einen günstigeren Preis zu bekommen. Doch das war nicht der Fall. Die Organisation entschied sich für die zweitbeste Möglichkeit, den großen Namen. Warum? Eine gemeinnützige Organisation ist ihren Spendern gegenüber rechenschaftspflichtig. Stellen Sie sich vor, etwas geht schief – was immer passiert. Wenn die Spender erfahren, dass eine Firma, von der sie noch nie gehört haben, die Bücher geprüft hat, schrillen bei ihnen sämtliche Alarmglocken. Doch wenn es sich um eine ihnen bekannte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft handelt, werden weniger Fragen gestellt. Diese Geschichte illustriert einen verblüffenden Prozess:
    Defensives Entscheiden: Eine Einzelperson oder eine Gruppe hält A für die beste Option, entscheidet sich aber für die schlechtere Option B, um sich für den Fall eines Misserfolgs
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