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Ripley Under Water

Ripley Under Water

Titel: Ripley Under Water
Autoren: Patricia Highsmith
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schwarzen Wollstrümpfen und einem Bademantel begann, der Kleidung, die Tom in New York für den in Europa versackten Dickie Greenleaf kauft. Spätestens hier müßten vor den Augen der Leser mit Langzeitgedächtnis die Textilien vorüberziehen, mit denen die Schriftstellerin ihre fünf Romane ausgestattet hat. An jedem Punkt des heiklen Geländes, das Tom auf seinem Weg nach oben durchqueren muß, spielen sie – keine Accessoires, sondern tatsächlich die wichtigsten Requisiten ihrer Bücher – eine genau berechnete Rolle. Im ersten Band drohen die Ringe des toten Dickie Greenleaf, die seine Freundin Marge in Venedig findet, den Mörder zu verraten. Wie ist Marge überhaupt auf die gefährlichen Indizien gestoßen? Tom vermutet: »Sie hatte nach Nadel und Faden gesucht, um ihren Büstenhalter zu reparieren.« Wonach also greift Tom, um die unliebsame Zeugin, sollte es notwendig werden, zu beseitigen? Nach einem Schuh. Genauer: »Er hielt den Schuh mit beiden Händen so, daß er den hölzernen Absatz als Waffe benutzen konnte.«
    Erinnern wir uns also: an Stoffe, Farben und Designs, nicht nur bei Toms ausführlicher Kleiderprobe vor Dickies Spiegel, seinem Laufstegdebüt, der Urszene seiner Verwandlungen. Erinnern wir uns auch an Dickies blau-weiß gemustertes Sporthemd mit Seepferdchen, auf das in Palermo Toms Tränen fallen, weil er sich von der Greenleaf-Maske und damit von dessen Garderobe endgültig verabschieden muß. An den feinen Pyjama, den Tom (in Ripley’s Game ) seinem Mordgefährten Jonathan Trevanny aufnötigt. An den Hut eines getöteten Mafia-Killers, der von einem Kopf auf den anderen wandert. An die Geschenke für Héloïse, zum Beispiel die grüne Lederjacke mit Lodenapplikationen aus Salzburg oder (in Der Junge, der Ripley folgte ) den teuren Pullover und die dunkelblaue Wildleder-Handtasche. Auch an das Mitbringsel für Madame Annette, eine blau-weiß gestreifte Küchenschürze mit roter Tasche. An Toms langes Kleid und high heels, die Maskerade, mit deren Hilfe er in Berlin den sechzehnjährigen Frank Pierson befreit. Und an eines der rätselhaftesten Details überhaupt, die beeindruckende Reihe von Gucci-Schuhen, die Frank für seinen Mentor Ripley auf Hochglanz bürstet. Die Dingsymbole der Patricia Highsmith sind so intim, daß sie in kleine Behälter passen: Kleiderschrank, Badezimmerschrank, Schuhregal. Im letzten Band dieser langen Serie, im achtzehnten Kapitel, darf Tom zur Entspannung endlich den Klassiker der Travestie ins Videogerät schieben, der den komisch-erotischen Subtext seiner Verbrechensmethode liefert. Es ist Billy Wilders Filmkomödie Some Like it Hot.
    Aber es reicht nicht mehr. Die textile Hülle, die vormals Schutz und Unabhängigkeit garantierte, ist löchrig geworden. Und der Feind kommt näher. Als Tom mit Ed Banbury im Wohnzimmer den nächtlichen Besuch bei Pritchard plant, läuft der Hausherr unvermittelt die Treppe hinauf, legt seine schwarze Hose ab, zieht die blauen Levis-Jeans an und transferiert Murchisons Ring von der schwarzen in die blaue Hosentasche. Was das soll, weiß Tom selber nicht. Doch zum erstenmal in seiner verbrecherischen Laufbahn stellt er sich eine interessante Frage: Sollte er unter einem neurotischen Zwang leiden, die Kleider zu wechseln? Keine schlechte Vermutung. Schwankt er nicht auch bei seinen Täuschungsmanövern zwischen Wirklichkeit und Illusion, so sehr, daß er am Ende geneigt ist, an seine eigenen Masken zu glauben? In welcher Hose ist er wirklich er selbst?
    Seine nervösen Gewohnheiten haben übrigens zugenommen, kein gutes Zeichen, etwa das häufige Duschen oder das geradezu manische Händewaschen, für dessen Deutung man gar nicht bis zu Pontius Pilatus zurückgehen muß. Und wie steht es mit den übrigen Tröstungen, auf die sich der müßiggängerische Ästhet bisher so sicher verlassen konnte? Während Tom sich ein Stückchen Hummer in den Mund schiebt, ist er erleichtert, daß er nicht mitansehen mußte, wie Madame Annette die Krustentiere ins kochende Wasser warf. Vor der Staffelei legt er aber lieber den Konturenstift beiseite, weil er Angst vor dem Scheitern hat. Da ist es wieder, das Highsmith-Wort, das in den Köpfen ihrer unglücklichsten Figuren nistet und nicht verschwinden will: failure. Jetzt ist auch Tom Ripley davon infiziert. Im letzten Band erinnert er wieder an den jungen amerikanischen Nobody des ersten, der Morde begehen muß, um herauszufinden, wer er sein soll.
    Leider geben die Notizbücher keinen
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