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Ripley Under Water

Ripley Under Water

Titel: Ripley Under Water
Autoren: Patricia Highsmith
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wäre Guy Haines, der Held des Debütromans Zwei Fremde im Zug, ein Architekt mit hohem ästhetischen Anspruch, geradezu der klassische Kunstidealist? Warum sonst bevölkerten Dichter (Die zwei Gesichter des Januars), Schriftsteller (Das Zittern des Fälschers), Maler (Ripley Under Ground), Zeichner ( Elsies Lebenslust ) und alle Arten von feinsinnigen Kulturliebhabern (Lösegeld für einen Hund) oder auffällig engagierten Hobbykünstlern (Ediths Tagebuch) die Romane von Patricia Highsmith? Die Literaturkritik hat die ästhetischen Gegenwelten, die mitten im Suspense dieser Schriftstellerin gedeihen, bisher kaum zur Kenntnis genommen. Vielleicht mit Grund: Selten wurde die modernistische Idee der säkularen Erlösung durch das Kunstschöne so diskret zerstört, und zwar im Kern des sich frei wähnenden Bewußtseins. Nicht das große Ganze, die »Gesellschaft«, walzt bei Patricia Highsmith den Blumengarten des Ästhetischen nieder. Der Kopf selbst, während er Brahms und Cézanne genießt, brütet das eigene Verderben aus.
    In dieser Gleichung fehlt, was den Kopf betrifft, nur noch der angemessene Innendruck. Am 12.   Juni 1988 spricht Patricia Highsmith im Zusammenhang mit Ripley von Schizophrenie als Flucht. Unversehens wird der Virtuose des moralischen Relativismus zum Bruder anderer Highsmith-Figuren, die ihre äußere Welt nicht mehr mit der inneren zur Deckung bringen können. Erst im fünften Roman der Ripley-Serie holt den bisher unangreifbaren Helden der Fluch der Charakter-Camouflage ein. Die Notizen sprechen eine eindeutige Sprache: Es geht um Bilanz und Seelenerforschung, ein privates Unterfangen, bei dem der geringste äußere Anlaß zur Destabilisierung führen kann. Vielleicht nicht mit konventioneller Moral im Kopf – denn das Wort steht nicht da –, aber doch im Hinblick auf ein falsch geführtes Leben läßt Tom seine Morde und Betrügereien an sich vorüberziehen und empfindet weder Stolz noch Zufriedenheit. Was ihn aushöhlt, was ihn beunruhigt und bedrängt, deutet das Notizbuch nur an. Aber daß etwas fehlt, verrät sein besessener Kult der schönen Oberfläche: »Ripley sieht Schönheit als etwas Abstraktes an«, heißt es im Notizbuch Nummer 36, »etwas in Augen und Ohren, wie Musik, wie eine schöne Gestalt oder ein schönes Gesicht, männlich oder weiblich, wie ein elegantes Foyer in einem Haus mit sauberen Steinböden und gewachsten Möbeln, mit Wänden, an denen gute oder interessante Gemälde hängen.«
    Aus diesen Zeilen ist eine Folgerung zu ziehen. Wer die aufs Erlesene fixierte Beschreibungslust des Romans nur als Beweis fortgeschrittenen Raffinements nähme, gleichsam als letztes Stadium der Ripleyschen Selbsterziehung zum kultivierten Gutsherrn, wäre auf der falschen Fährte. Das Gewächshaus, der Musikunterricht, die Körper- und Möbelpflege, die kontinuierliche Sorge um das Dekor der schönen Dinge ist vielmehr das letzte Bollwerk gegen den anrückenden Wahnsinn.
    Ripley, c’est moi: Geisteskrankheit war ein Feind, den Patricia Highsmith fürchtete wie wenige andere. Daß es im Seelischen keine Norm gab, hatte schon das frühreife, neunjährige Mädchen erfahren, als es sich aus dem elterlichen Bücherschrank in New York Karl Menningers Buch The Human Mind nahm und gierig verschlang. Die Sammlung populärwissenschaftlicher Fallstudien über abnorme menschliche Verhaltensweisen – Kleptomanie, Pyromanie oder Schizophrenie – eröffnete Patricia Highsmith den Zugang zu einem Maskensaal, in dem jeder ein anderer sein konnte, als sein harmloses Äußeres verriet. Schon in den frühen Tagebüchern der Schriftstellerin taucht die Befürchtung auf, sie selbst könne irgendwann Opfer einer Geisteskrankheit werden. Würde sie die Verwandlung ihrer Persönlichkeit überhaupt wahrnehmen? Im Alter hatte diese Vorstellung nichts von ihrem Schrecken verloren. Angesichts der Leiden ihrer hochbetagten Mutter, die mit Gedächtnisschwund in einem texanischen Pflegeheim dahinvegetierte, stellte sich Patricia Highsmith die Frage nach dem Sinn lebensverlängernder Maßnahmen, nach dem Unterschied zwischen einem Krankenpfleger und einem seelenlosen Roboter, der den Gehirntoten Nahrung in den Mund löffelt. (Notizbuch vom 23.   April 1987)
    Die Parallele zum entstehenden Ripley-Roman wird durch eine Tagebuchnotiz vom 18.   September 1989 offensichtlich. Auf dem Flug nach Texas liest Patricia Highsmith Menningers Buch Man vs. Himself und bemerkt dazu: »Vielleicht habe ich es schon einmal
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