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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider
Autoren: Tilman Röhrig
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abbüßen müssen. Stets hatte ihn nach kurzer Zeit ein mitleidiger Wink wieder zurück auf den Hocker befohlen. So verlockte das väterliche Gebot zum Ungehorsam. Den Blick fest auf ihn gerichtet, schoben Gertrud und der jüngste Bruder so unauffällig wie möglich ihre Essnäpfe zur dampfenden Schüssel hin. Von den vier Mägden neben ihnen drohte kein Verrat, auch nicht von den älteren Brüdern. Tobias und die beiden anderen Gesellen unterstützten sogar das Spiel, beugten sich vor und behinderten die freie Sicht über den Tisch.
Endlich stellte der Meister seine gefüllte Schale vor sich hin, da schnappten die Finger gleichzeitig nach der Kelle. Der Bruder umklammerte als Erster den Stiel, und wie immer hatte Gertrud verloren. »Du bist gemein.«
»Still!«, ermahnte die Mutter. Mit erhobener Hand drohte sie ihrem Sohn, nahm den Schöpfer an sich und teilte den Brei aus.
Eine Zeit lang schabten nur die Löffel in den Holznäpfen, dann räusperte sich Meister Til vernehmlich. »Wie ihr wisst, erwarte ich heute eine Frau. Eine Bäuerin.« Er sah in die Runde. »Sobald sie da ist, darf keiner von euch mehr die Werkstatt betreten. Habt ihr mich verstanden: Ich will keine Störung.«
»Aber, Riemenschneider …« Anna schnaufte, verschluckte den Satz und presste die Lippen aufeinander.
»Aber, Meister«, neben ihm warf Tobias mit Schwung das dunkle Lockenhaar zurück, »ich muss doch dabei sein. Du hast mir versprochen, dass ich bei der Eva mitarbeiten darf …«
»Zur Hand gehen«, verbesserte er, »nur zur Hand gehen, und das wirst du auch. Aber glaub nicht, weil du der Adam bist, wärst du schon so weit, die Eva zu schaffen. Nein, keine Widerworte. Ich weiß, was ich sage.« Til fasste ihn an der Schulter, wohlmeinender Spott schwang im Ton mit: »Aber du sollst für deine Eva sorgen. Geh rüber und entzünde Feuer. Nicht in der Steinhalle. Die Schnitzwerkstatt wird schneller warm.«
Gehorsam verließ Tobias den Tisch, war schon an der Tür, als der Meister ihm nachrief: »Und stell das Zeichenbrett auf. Denk auch an genügend Papier!«
Ein Blick hinüber zu seiner Frau. Anna stemmte bereits beide Fäuste auf die Tischplatte, schnell wandte er sich an die anderen Gesellen: »Ihr werdet heute Zeit haben, das Steinlager beim Stall aufzuräumen und zu ordnen. Die großen Blöcke kommen nach hinten. Deckt sie nachher gut mit den Leinenplanen ab.« Seine Frau hob und senkte den Busen. Er ließ keine Pause: »Wenn Tobias zurück ist, beginnt ihr. Und haltet mir die Knaben in Schach. Ich will nicht, dass sie zu den Werkstattfenstern hochklettern. Das Beste wäre, ihr fangt die kleinen Teufel gleich am Tor ab, sobald sie auftauchen. Nehmt sie mit zu den Steinen. Schadet nichts, wenn sie vom Arbeiten mal Blasen an den Händen bekommen. Und merkt euch, wer von ihnen der Fleißigste ist, den nehme ich vielleicht zum neuen Lehrbuben. Und …« Weil ihm kein weiterer Auftrag für die Gesellen einfiel, hielt er inne, ergeben sah er über die Breischüssel hinweg zum jenseitigen Tischende. »Verzeih, meine Liebe, du wolltest etwas sagen.«
»Es ist warm. Wir haben Anfang Mai. Draußen scheint die Sonne.« Anna bemühte sich, ruhig zu sprechen. »Darf ich fragen, wieso du die Werkstatt heizen lässt? Holz ist teuer und Kohle erst recht.«
»Das ist wahr«, nickte er zustimmend, gab aber keine Antwort, stattdessen stand er auf und blickte zur Decke. »Lasst uns danken!«
Sofort erhoben sich Kinder, Mägde und Gesellen, sichtlich schwer fiel es der Hausfrau, die Empörung niederzukämpfen, doch schließlich wuchtete sie schweigend den fülligen Leib aus dem Lehnstuhl. Das Frühmahl war beendet.

2

V orbei an den neugierigen Gesichtern im Hof. Magdalena sah nicht zur Seite, die Augen fest auf den breiten Rücken vor ihr gerichtet, folgte sie dem Meister zum Querhaus. Er öffnete die Pforte in der hohen Flügeltür und lächelte seinem Gast zu. »Verzeih, dass es kein prächtiger Saal ist. Ich weiß, beim ersten Hinschauen möchte sich jede Hausfrau gleich die Haare raufen. Doch die Unordnung ist eine wohl durchdachte Ordnung. Steine, die Holzblöcke, auch jeder Meißel, jeder Hammer, alle Dinge hier haben ihren festen Platz.« Eine weiche Geste lud sie ein. »Sei willkommen in meinen guten Stuben.«
Etwas befangen erwiderte sie das Lächeln und schlüpfte an ihm vorbei. Leicht streifte der Ärmel ihres hellen Kittelkleides sein Wams. Nach wenigen Schritten blieb sie stehen. Meister Til folgte ihr, drückte die schmale Tür zu und
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