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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche
Autoren: Andreas Steinhöfel
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Ein hebräischer Ausdruck aus der Bibel, von ganz am Anfang: Die Erde war wüst und wirr , also total durcheinander. Deshalb beschloss der liebe Gott, da gleich am ersten Tag ein bisschen Ordnung reinzubringen. Man könnte auch wie Kraut und Rüben sagen, aber das Gemüse erfand Gott erst zwei Tage später.
    Mama starrte gegen den Kleiderschrank, den Ziemlichweitwegblick im Gesicht, den ich schon kannte. Ich wartete, aber da kam nichts mehr. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. »Aber was war es denn nun?«, sagte ich ungeduldig. »Womit hat der Boris dich erpresst? Was hatte er gegen dich in der Hand?«
    Ihr Blick kehrte zurück. »Nicht gegen mich, Rico. Gegen uns.« Sie umfasste meine Finger und drückte sie so fest, dass ich befürchtete, sie würde sie mir aus Versehen brechen. »Boris weiß, wo dein Vater lebt. Und er wird ihm verraten, wo er uns finden kann.«
    Zeit verging.
    Alle Uhren der Welt standen still.
    Mamas Augen waren so tief wie das blaue Meer.
    Â»Aber Papa ist tot«, sagte ich irgendwann. »Er ist beim Angeln ertrunken, vor der Küste von …«
    Ich konnte nicht weitersprechen. Mama zog mich dicht an sich. »Ich bin vor ihm davongelaufen, Rico. Er war kein guter Mann. Ich hätte ihn niemals heiraten dürfen.«
    Ich schluckte und versuchte meine Stimme wieder einzusammeln. Und die Bingokugeln. Und das Schildkrötenkästchen, das aus dem Regal gefallen war, so leise, dass ich es erst gar nicht bemerkt hatte. Ich hörte mich atmen und ich hörte Mama atmen.
    Â»Hat er dich gehauen?«, sagte ich nach einer Weile.
    Â»Ja«, sagte ihre Stimme.
    Â»Mehr als ein Mal?«
    Â»Ja.«
    Â»Weil du fies zu ihm warst oder gemeine Sachen gesagt hast?«
    Â»Nein.« Sie zog mich noch dichter heran und ich kuschelte mich fest an sie. »Es gibt Menschen, Rico, die so unglücklich sind, dass sie nicht anders können, als ihr Unglück ständig an andere weiterzugeben. Ich weiß nicht, warum dein Vater zu dem wurde, der er geworden ist. Aber er war jähzornig und brutal. Sobald ich wusste, dass ich mit dir schwanger war, wusste ich auch, dass du das nie erleben solltest. Also packte ich heimlich meine Koffer und lief davon.«
    Â»Wohnt er in Deutschland?«
    Â»Er ging zurück nach Italien.«
    Â»Hätte er uns nicht finden können, mit dem Telefonbuch oder so?«
    Â»Wir stehen nicht im Telefonbuch, Rico. Aus genau diesem Grund.«
    Â»Hättest du nicht unseren Namen ändern können?«
    Â»Nur durch eine Scheidung.«
    Ping, ping, trommelte der Regen gegen das Fenster.
    Â»Und woher weiß der Boris das alles?«
    Â»Er war ein Freund deines Vaters, aber er mochte auch mich. Und ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte. Es war Boris, der mir half, als ich schwanger nach Berlin kam, erst mit Geld und einer kleinen Wohnung, später, nach deiner Geburt, indem er mir Arbeit in seinem neuen Club verschaffte. Anfangs wollte ich das nur übergangsweise machen, weißt du. Aber ich hatte Erfolg, die Männer mochten mich, und ich musste nicht …«
    Â»Nichts Verruchtes tun?«
    Â»Ja. Auch dafür sorgte Boris. Er machte mich zur Geschäftsführerin, und Verantwortung zu haben, merkte ich, machte mir Spaß. Also blieb ich. Irgendwann erzählte Boris, dass dein Vater Deutschland verlassen hatte. Und kurz darauf, vor ein paar Jahren, meinte er, ich könne ihm einen Gefallen tun. So fing alles an, und ich sage dir ganz ehrlich, Rico: Anfangs machte ich mir keine Gedanken, wenn ich die Taschen verkaufte. Aber irgendwann … Ich überlegte, was aus dir werden würde, wenn man Boris erwischte. Mich erwischte. Also erklärte ich ihm, ich würde aussteigen. Und er begann mich zu erpressen. Im Gegenzug dafür, dass ich weiterhin tat, was er verlangte, würde er deinem Vater nicht unsere Adresse geben.«
    Â»Wenn er ein Freund von Papa ist, warum hat Papa ihn dann nie besucht?«
    Â»Das weiß ich nicht. Boris hatte mir versprochen, mich zu warnen, falls er einen Berlinbesuch ankündigen würde, aber dazu kam es nie. Wer weiß, welches Leben dein Vater in Italien führt.«
    Â»Vielleicht denkt er gar nicht an uns.«
    Â»Ja, vielleicht.« Sie stellte ihre Tasse auf dem Nachtschränkchen ab. »Aber das war auch der Grund dafür, weshalb ich verhindern wollte, dass du in einer Talkshow auftrittst, weshalb ich die
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