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Richtig verbunden

Richtig verbunden

Titel: Richtig verbunden
Autoren: Alison Grey
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das sagt.«
    Christina hörte ein Crunch-Geräusch. »Was isst du da?«
    »Chips«, murmelte Linda. »Man gönnt sich ja sonst nichts.« Und wieder crunchte es.
    »Ich habe nach meinem Hauptschulabschluss keine Ausbildung gemacht, sondern direkt in einer Torten-Fabrik gearbeitet. Der Betrieb ging pleite und ich verlor meinen Job. Als Ungelernte wollte mich aber niemand einstellen. Es gab zu viele Leute mit Ausbildung. Und da ich so lange aus der Schule war, bekam ich auch nirgendwo eine Ausbildung. Beim Arbeitsamt sagte man mir, ich könnte doch das Abi nachmachen. Das ist auch schon die ganze Geschichte.« Christina hielt den Atem an. Jetzt war es raus. Sie hatte nicht mal eine Ausbildung. Wie Linda wohl reagieren würde?
    »Das verdient Bewunderung. Andere hätten sich einfach zurückgelehnt und abgewartet. Du bekommst kein Arbeitslosengeld mehr, richtig?«
    Bewunderung? Hatte sie richtig gehört? Linda dachte nicht, sie sei eine absolute Verliererin? »Nein. Und für BAföG bin ich zu alt. Deshalb mach ich den … den Telefonjob.«
    »Verstehe.« Nach einer Pause fragte Linda: »Fällt es dir sehr schwer?«
    Christina zuckte mit den Schultern. »Die ersten Gespräche waren hart. Aber ich hab schnell gelernt, meinen Kopf dabei auszuschalten. Seitdem ist es wirklich leicht verdientes Geld.«
    Stille.
    Christina schloss die Augen. »Denkst du schlecht über mich, weil ich …?«
    »Was? Nein. Gott, nein.«
    Langsam öffnete Christina ihre Augen wieder. »Was dann?«
    »Ich glaub, ich könnte das nicht. Das ist alles. Ich habe echt Respekt vor dir, dass du deine Berufschancen verbessern willst und dafür auch Dinge tust, die … ähm … unangenehm sind.«
    Sie meint es ernst. Damit hatte Christina nicht gerechnet. Bisher hatten sie alle in ihrem Umfeld für verrückt erklärt, wenn sie erwähnte, das Abitur nachholen zu wollen. »Am schlimmsten ist der ständige Schlafmangel. Die Schule tagsüber und der Job in der Nacht. Das schlaucht.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Linda.
    »Aber anders geht es ja nicht. Egal, lass uns von dir reden. Wieso bist du Psychologin geworden? Warum nicht Ärztin oder Rechtsanwältin?«
    Linda lachte. »Ich kann kein Blut sehen und über Gesetztestexten zu hängen ist nicht meine Vorstellung von Spaß.« Ihr Tonfall wurde ernst. »Meine Mutter war Psychologin.«
    »Oh. Wollte sie, dass du denselben Beruf ergreifst?«
    »Sie überließ es ganz mir. Aber ich wollte ihr immer nacheifern. Mein Vater war Anwalt, aber so was reizte mich gar nicht.«
    »Was ist denn so toll an der Psychologie?«
    »Menschen.«
    »Menschen?«
    »Ja. Wie sie denken, wie sie fühlen. Jeder Mensch ist wie ein großes Rätsel. Aber ein nie ganz entschlüsselbares. Weißt du, was ich meine?«
    »So habe ich das noch nie gesehen. Aber ich glaube, ich weiß, was du meinst.«
    »Jetzt aber zu einer viel wichtigeren Frage.« Am anderen Ende der Leitung raschelte die Chipstüte.
    »Und die wäre?«
    »Wenn du in einer Torten-Fabrik gearbeitet hast, bedeutet das, du kannst leckere Torten machen? Ich liebe nämlich Käse-Sahne-Torte.«
    Christina lachte. Linda war wirklich unverbesserlich.
    * * *
    Gähnend schaute Linda auf die Wanduhr im Wohnzimmer. Sie und Christina redeten wieder mal seit über vier Stunden. Das Gespräch war auch heute wieder alles andere als langweilig. Sie sprachen mittlerweile seit fast einem Monat nahezu jeden Abend miteinander und nie war ihnen der Gesprächsstoff ausgegangen. Doch es war schon kurz nach eins und um sechs Uhr würde ihr Wecker klingeln. »Ich denke, es wird Zeit für mich. Der erste Termin ist morgen schon um sieben.«
    Erst schwieg Christina. Dann sagte sie: »Du arbeitest zu viel.«
    Linda stand auf und rieb sich die Augen, während sie zur Küche trottete. »Du auch.«
    »Du kannst das, was ich mache, nicht mit deiner Arbeit vergleichen. Ich muss hechelnden Kerlen zuhören, wie sie kommen, während ich schwachsinnige Sätze ins Telefon hauche. Du musst dich konzentrieren und dich intensiv mit der Gefühls- und Gedankenwelt anderer auseinandersetzen.«
    »Ich mag, was ich tue.«
    »Das steht ja außer Frage, aber vielleicht solltest du etwas kürzertreten.«
    »Und was soll ich stattdessen tun?« Linda lächelte.
    Es herrschte eine Weile Stille, dann sagte Christina leise: »Komm nach Köln.«
    Linda war gerade dabei, sich in der Küche ein Glas Wasser einzugießen. Wie in Zeitlupe stellte sie die Wasserflasche ab. »Meinst du das ernst?«
    »Ja.«
    Lindas Herz raste.
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