Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)

Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rhönblut: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Zeno Diegelmann
Vom Netzwerk:
doch dann merkte er, dass es ihm tatsächlich nicht wichtig war. Es passte vielmehr zu seinem Leben. Er hatte keine Familie und auch kein Büro mehr.

2.
    »Nein! Nein! Lass mich durch, verdammt. Ich muss es mit eigenen Augen sehen.«
    Die verzweifelten Schreie waren markerschütternd. Um ihn herum breitete sich plötzlich eine sengende Hitze aus, die alles Atmen zu einer schweren, körperlichen Anstrengung werden ließ. Kohler stellte sich ihm in den Weg und versuchte, ihn zurückzuhalten.
    »Nein, Klaus!«
    »Lass mich los und geh mir aus dem Weg!«
    »Komm doch zur Vernunft. Ich bitte dich«, versuchte Kohler sein Bestes, um den Kommissar aufzuhalten. Doch Seeberg zückte wie von Sinnen seineDienstwaffe und hielt sie seinem Kollegen an die Schläfe.
    »Verpiss dich! Ich schwör dir, ich knall dich ab!«
    »Klaus, mach es doch nicht noch schlimmer. Beruhig dich! Das hat doch so keinen Sinn.«
    Seeberg riss sich aus der Umklammerung, stieß Kohler gegen die geflieste Wand und stürmte in den sterilen Raum, wo in der Mitte nur eine einzige Bahre aufgestellt war. Man hatte den schwarzen Leichensack in die Rechtsmedizin gebracht, um den Körper genauer auf eventuelle Spuren untersuchen zu können. Die Kollegen hatten zwar bereits am Fundort erste Spuren gesichert und Tests durchgeführt, doch die Obduktion sollte endgültige Rückschlüsse auf die näheren Umstände des Todes geben. Kurz vor der Bahre stoppte Seeberg seine Schritte. Er legte die Waffe ab und streckte seine Hände zitternd dem Reißverschluss entgegen, der den Leichensack verschloss.
    Er zögerte.
    Dann zogen seine Finger den Reißverschluss nach unten. Die schwarze Folie glitt zurück und legte dunkelblondes, lockiges Haar frei, das man mit einer silbernen Spange zu bändigen versucht hatte. Seeberg erkannte die Spange, er war es gewesen, der sie in dem blonden Haar befestigt hatte. Seine bebende Hand strich eine Strähne aus der Stirn.
    Laura.
    Alles schien innezuhalten.
    Die Bewegung seiner Hand.
    Seine Atmung.
    Die Zeit.
    Sein Leben.
    Es dauerte einige Sekunden, bis er wieder zurück ins Hier und Jetzt fand und ein erster Laut aus ihm herausbrach. Eine Art Würgen, als hätte er sich heftig verschluckt und versuchte nun, den Fremdkörper herauszupressen. Dabei hielt er den Kopf seiner toten Tochter in seinen Händen und starrte in das vertraute und doch völlig fremd wirkende kalte Gesicht.
    Plötzlich rissen die Augen des Kindes auf und funkelten ihn voller Entsetzen an.
    »Du hast mich nicht beschützt, Papi.«
    Er schrie auf, schreckte zurück, so dass er zu Boden stürzte. Er wollte sich abstützen, doch seine Hände griffen ins Nichts.
    »Nein! Nein! Laura!«
    Er fuhr aus dem Schlaf und saß senkrecht in seinem provisorischen Bett. Schweißgebadet wischte er sich über Stirn und Bart. Das Blut rauschte in seinen Ohren, und er sah, wie sich seine nackte Brust in schneller Abfolge hob und senkte. »Nur ein Traum«, sprach er zu sich selbst, doch wusste er, dass ihn dieser Traumweder das erste noch das letzte Mal heimgesucht hatte. Nur war er noch nie so real gewesen.
    Trotz der niedrigen Temperaturen schlief Seeberg nackt, wie er es stets zu tun pflegte. Seine Augen suchten nach einem festen Punkt, der ihm Orientierung verschaffen sollte. Sie fanden ein blinkendes Licht am Boden. Der Anrufbeantworter seines Telefons. Jemand hatte für ihn eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht hat es mit dem heutigen Leichenfund im Gewächshaus zu tun, dachte er und stand von dem alten Sofa auf, das ihm seit Wochen als Schlafplatz diente, und drückte die Playtaste.
    »Herr Seeberg, hier spricht Karl Höhn von der Hausverwaltung. Wir haben Ihnen bereits schriftlich versucht mitzuteilen, dass die Mietzahlungen der letzten sechs Monate ausstehen. Wir bitten Sie daher letztmalig …«
    »Arschloch!« Seeberg drückte die Löschtaste des Anrufbeantworters. Er ging ins Bad, schaltete das Licht ein und ließ sich kaltes Wasser in die Hände laufen. Dann tauchte er sein Gesicht hinein. Das Ganze wiederholte er dreimal. Beim letzten Mal griff er sich ein kleines Döschen, in dem er seine Tabletten aufbewahrte, und nahm einen großen Schluck Wasser, damit sie sich besser schlucken ließen. Als er sich vom Becken aufrichtete, erkannte er ein graues, ungepflegtes Gesicht im Spiegel. Es war gealtert undzeugte von tiefer Trauer und seelischer Pein. Er ekelte sich davor. Schnell löschte er das Licht, ging ins Wohnzimmer und setzte sich auf den einzig verbliebenen Stuhl im
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher