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Rheinmaerchen

Rheinmaerchen

Titel: Rheinmaerchen
Autoren: Clemens Brentano
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hinaus.
    Und als sie vor das Fenster kamen,
Da fielen sie um und um,
Da kamen ihrer neunzig,
Neunmal neunundneunzig
In einer Gosse um.
    So war das unglückliche Ende dieser neunmal neunundneunzig Braven; sie, die nicht der grausame Sündenbock der alttestamentarischen Glaubensgenossen hatte besiegen können, unterlagen den Sünden des jugendlichen Übermuts, die schon manchem Helden den Helmbusch geknickt haben; sie, die den langen Tag der Juden bezwungen hatten, wurden von einem kurzen Freudentage erdrückt und erblickten das Licht nicht wieder, welches ihnen mit der Lichtputze ausgelöscht worden.
    Mein Vater allein, weil er zuerst in die Lichtputze gekrochen war, fiel lebend auf die andern und machte sich nach Haus. Es war morgens gegen drei Uhr, und der Tag begann zu dämmern; er schlich nach seiner Werkstatt. Aber hier hatte er noch einen schweren Kampf zu bestehen. Er hatte für einen durchreisenden König von Polen ein Kleid zu verändern, und da es morgen fertig sein sollte und der heutige Tag im Kriegsgetümmel verloren gegangen war, so machte er sich selbst daran, es aufzutrennen. Denn seine Gesellen waren alle unter den Helden umgekommen. Da er nun im besten Trennen war, kam ihm plötzlich aus einer Naht des Rockes ein schreckliches Ungeheuer entgegen, eine Laus; und sie protestierte dagegen, daß er den Rock auftrennte. Der Schneider, dem aus Schrecken die Schere unter den Tisch gefallen war, erholte sich bald wieder und sagte zu ihr: »Ich muß Sie bitten, meine Stube zu verlassen und nicht viel Aufhebens zu machen, sonst werde ich grob.« – »Elender Ziegenschwanz!« sagte die Laus hohnlächelnd, »wäre ich nicht von königlichem Geblüt, ich wollte dir für deine Insolenz Nasenstüber geben.« Das Wort Ziegenschwanz , als eine Stichelei auf das unglückliche Bocksgeschlecht der Schneider, nahm mein Vater krumm und erwischte die Elle und schlug nach der Laus, die er aber verfehlte, worauf sie höchlich ergrimmt zu ihm sprach: »Notwehr hebt allen Stand und Rang auf, und ich lasse mein königliches Geblüt herab und fordere dich auf Tod und Leben heraus«, worauf sie meinen Vater auf die grimmigste Weise anfiel. Er wehrte sich wie ein Held; aber ermattet vom Kampf ward sie Meister über ihn und warf ihn unter die Bank; doch diente ihm dies zum großen Glücke, indem er unten seine Schere wiederfand und sie so vortrefflich gegen das Ungeheuer gebrauchte, daß er ihr den Kopf damit abschnitt. Aber ermattet lag er nun unter der Bank und hatte die Kräfte nicht, sich wieder herauszuwinden, bis ihn glücklicherweise ein Floh zur Ader ließ, was ihm so wohl anschlug, daß er sich erholte und unter der Bank hervorkroch. Nun weckte er seine Frau und mich und erzählte ihnen seine Heldentat. Diese, als ein kluges Weib, sagte: »Da die Laus von königlichem Geblüt ist, so dürfen wir die schöne Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, und somit will ich sie uns zum Frühstück zubereiten, und wenn wir sie verzehren, sind wir dann alle auch von königlichem Geblüt.« Meinen Vater und mir, der immer viel Ehrgefühl hatte, war dieser Gedanke sehr willkommen. Schnell ward das Ungeheuer an einer Nadel gebraten und auf einer Knopfform aufgetragen, und bald war sie verzehrt, und so waren wir von königlichem Geblüt. Ich aber machte folgendes Gedicht:
    Der Schneider trennt des Königs Rock.
Da findet er die Laus;
Sie macht sich patzig, nennt ihn Bock
Und fordert ihn heraus.
    Dem Schneider fiel vor Schreck die Scheer,
Er faßt sich einen Mut,
Er greift nach seiner Elle schwer,
Setzt auf den Fingerhut.
    Sie sprach: »Ich bin von Königsblut,
Du bist ein Ziegenschwanz!«
Und packt ihn an mit grimmiger Wut;
Das ward ein böser Tanz.
    Die Laus gewann die Oberhand,
Sie stellt dem Schneider ein Bein
Und drückt den Schneider an die Wand,
Wirft ihn zur Höll hinein.
    Da wars für ihn ein großes Glück,
Daß er die Scheer ertappt,
Da hat der Held ihr am Genick
Den Kopf schnell abgeknappt.
    Doch lag er da ermüdet sehr,
Vom Kampf ganz matt und blaß,
Zum Glück hüpft da der Floh daher,
Hilft ihm mit Aderlaß.
    Er weckt den Sohn, er weckt das Weib,
Erzählt die Heldentat;
Sie sprach: »Ich schnell des Toten Leib
An einer Nadel brat.«
    Dem Schneider, samt dem Weib und Kind,
Bekam das Frühstück gut;
Sie schwuren nun: »Wir dreie sind
Von königlichem Blut.«
    Kaum hatte sich nun der Tag über den Türmen von Amsterdam wieder sehen lassen, als man eine neue, viel schrecklichere Not als gestern bemerkte. Alle Kanäle und
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