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Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir
Autoren: Tahereh H. Mafi
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Freundinnen –«
    »Das sind wir auch!«, erwidert Tana aufgebracht. »Aber wie können wir ihr jetzt helfen? Wo sollen wir sie hinbringen? Und zu wem? Niemand kann sie berühren, und sie hat schon so viel Blut verloren – schau sie doch nur an –«
    Jemand keucht erschrocken.
    »Juliette?«
    Schritte, laut laut laut, um meinen Kopf herum. Alle Geräusche knallen aufeinander, drehen sich im Kreis. Offenbar bin ich doch noch nicht tot.
    Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon hier liege.
    »Juliette? JULIETTE –«
    Warners Stimme ist eine Rettungsleine, an die ich mich klammern will. Ich will sie festhalten und mir um die Taille schlingen, und ich will, dass er mich aus dieser gelähmten Welt herauszieht, in der ich gefangen bin. Ich will ihm sagen, dass er sich keine Sorgen machen soll, dass alles gut ist, dass ich es akzeptiert habe, ich bin jetzt bereit zu sterben – aber ich kann nichts sagen. Ich bringe keinen Ton hervor, kann nicht richtig atmen, kann meine Lippen nicht bewegen. Nur diese qualvollen kleinen Atemzüge tun und mich fragen, warum mein Körper noch nicht aufgegeben hat.
    Plötzlich setzt Warner sich mit gespreizten Beinen auf mich, ohne mich zu belasten, schiebt meine Ärmel hoch. Ergreift meine bloßen Arme und sagt zu mir: »Du wirst wieder gesund. Wir helfen dir – wir heilen dich – und du – du wirst überleben.« Er atmet mehrmals tief ein. »Alles wird wieder gut. Hörst du mich, Juliette? Kannst du mich hören?«
    Ich blinzle. Blinzle und blinzle und blinzle und finde diese Augen noch immer so faszinierend. Dieses fantastische Grün.
    »Haltet mich beide an den Armen fest«, schreit er den Mädchen zu. »Jetzt sofort! Bitte! Ich flehe euch an –«
    Und aus irgendeinem Grund hören sie auf ihn.
    Vielleicht sehen sie in seinem Gesicht auch das, was ich durch den Nebel vor meinen Augen erkenne. Die Verzweiflung, die Angst, diesen Ausdruck in seinen Augen – als würde auch er sterben, wenn ich sterbe.
    Und ich denke unwillkürlich, dass dies ein interessantes Geschenk der Welt an mich wäre.
    Dass ich nicht alleine sterben werde.

72
    Ich bin wieder blind.
    Die Hitze, die sich plötzlich in meinem Körper ausbreitet, ist so stark, dass ich nichts mehr sehen kann. Und auch nichts mehr spüren außer Hitze, versengende Hitze, die in meine Knochen strömt, in meine Nerven, meine Haut, meine Zellen.
    Alles steht in Flammen.
    Zuerst denke ich, es sei diese Hitze aus meiner Brust, der Schmerz aus diesem Loch, das früher mein Herz war. Doch dann merke ich, dass diese neue Hitze nicht schmerzt. Sie ist im Gegenteil wohltuend. Extrem und intensiv, aber beruhigend. Mein Körper will sich nicht gegen sie wehren. Will sich ihr nicht entziehen, will sich nicht vor ihr schützen.
    Als dieses Feuer meine Lunge erreicht, spüre ich, wie sich mein Rücken vom Boden löst. Und wie ich in gierigen riesigen Zügen Luft einatme. Ich trinke Sauerstoff, sauge ihn ein, verschlinge ihn, so schnell wie möglich, mein Körper kämpft darum, möglichst viel davon in sich aufzunehmen.
    Meine Brust fühlt sich an, als würde sie zusammengeflickt, als heile mein Fleisch mit unmenschlicher Geschwindigkeit, und ich blinzle und atme und bewege den Kopf und versuche etwas zu erkennen, alles ist noch verschwommen, wird aber allmählich klarer. Ich spüre meine Finger und Zehen und Glieder, und ich höre mein Herz schlagen, und plötzlich kann ich die Gesichter über mir klar erkennen.
    Und die Hitze ist schlagartig verschwunden.
    Die Hände sind verschwunden.
    Ich sinke auf den Boden zurück.
    Und alles wird schwarz.

73
    Warner schläft.
    Das weiß ich, weil er direkt neben mir liegt. Es ist so dunkel, dass ich mehrmals blinzeln muss, um zu begreifen, dass ich jetzt nicht mehr blind bin. Aber durch ein Fenster strömt das Licht des Vollmonds in diesen kleinen Raum.
    Ich bin immer noch hier. In Andersons Haus. In diesem Zimmer, das früher wahrscheinlich Warners Schlafzimmer war.
    Und Warner schläft neben mir im Bett.
    Sein Gesicht wirkt so weich und sanft im Mondlicht. Täuschend still, arglos, unschuldig. Und ich denke, wie unfassbar das ist, dass er hier ist und neben mir liegt.
    Dass wir zusammen in dem Bett liegen, in dem er als Kind geschlafen hat.
    Dass er mir das Leben gerettet hat.
    Ich bewege mich nur ein bisschen, und Warner reagiert sofort, setzt sich abrupt auf, keuchend und blinzelnd. Er schaut mich an, sieht, dass ich wach bin und meine Augen offen sind, und erstarrt.
    So vieles will ich ihm sagen,
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