Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Resturlaub

Resturlaub

Titel: Resturlaub
Autoren: Tommy Jaud
Vom Netzwerk:
war, denn die Antipathie bestand seit Jahren auf Gegenseitigkeit. Fast hätte man meinen können, dass sie eifersüchtig war auf den Spaß, den Arne und ich immer hatten. Am liebsten hätte sie Arne wohl den Umgang mit mir verboten, aber weil das nicht ging, regte sie sich nur auf. Wenn Biggy sich aufregte, und das tat sie eigentlich dauernd, dann ähnelte ihre Stimme dem Quaken einer Ente. Ich fand es eine gute Idee, sie auch so zu nennen.
    »Heirate sie nicht!«, hatte ich Abend für Abend beim Bier zu Arne gesagt. So oft hatte ich es wiederholt, dass Arne gar kein Bier mehr mit mir trinken wollte. Also änderte ich meine Meinung in »Mach was du willst!« Wenigstens ersparte es mir meine Ehrlichkeit, Trauzeuge zu sein, ich konnte dem Trauerspiel also mehr oder weniger unbeteiligt beiwohnen. Sich trauen und Trauer - für mich lag das eben eng beisammen. Doch Arne traute sich so einiges: Arne wollte gleich den kompletten Dreierpack:
    Heirat, Baby, Haus.
    Quak! Quak! Quak!
    Ich wusste, dass es nicht sein Plan war, sondern der Plan der Ente, oder wie ich ihn nannte, die Operation »Enduring Boredom«: Arne vor den Altar zerren, schnell Kinder machen und wegschließen in einem Einfamilienhaus mit Kiesauffahrt, das mindestens eine Viertelstunde von mir und der nächsten Kneipe entfernt ist. Ich würde meinen besten Freund an eine Frau verlieren, es war nur eine Frage der Zeit. So, wie ich Harry, Heiko und Markus verloren hatte. Irgendein schrecklicher Virus ging um, der alle um die dreißig dazu brachte, sich gegenseitig Ringe über die Finger zu stülpen und aufs Land zu ziehen mit dem einzigen Zweck, ein Kind nach dem anderen aus dicken, aber glücklichen Müttern purzeln zu lassen. Ich fragte mich, warum die Weltgesundheitsorganisation nichts gegen so einen Virus unternahm. Wenigstens war ich dagegen immun. Denn ich wollte weder einen Ring noch Kinder und auch kein Haus mit Kiesauffahrt, von dem man »höchstens eine Viertelstunde in die Stadt« braucht. Ich habe ohnehin nie verstanden, warum man nicht gleich in der Stadt bleibt, wenn es einem so wichtig ist, dass man »höchstens eine Viertelstunde« dorthin braucht.
    »Mit Mitte dreißig muss es knirschen«, sagte Arne schon kurz nachdem er mit der Ente zusammen war und er meinte damit, dass man spätestens dann stolzer Besitzer einer Kiesauffahrt sein sollte, mit dem entsprechenden Haus dahinter.
    You say »Auffahrt«, I say »Quak!«
    Ich fand nicht, dass mit Mitte dreißig irgendwas knirschen sollte, es sollte eher was rieseln, und zwar der feine Sand eines schönen Atlantikstrandes, von dem man sich gegen Nachmittag auf die Terrasse seines schönen Ferienhauses begibt. Mit einer schönen Frau, aus der nicht ständig Kinder purzeln.
    Und jetzt kommt der einzige Schwachpunkt in meiner schönen Argumentationskette: Ich war von diesem Ziel genauso weit entfernt wie Arne. Der Unterschied bestand lediglich darin, dass ich davon träumte und er nicht.
    Ja, ich hatte Angst. Angst davor, mich früher oder später fügsam einzureihen in den bereihenhausten Stillstand provinzieller Zufriedenheit, Vater eines leicht übergewichtigen Sohnes zu werden und schließlich leicht übergewichtig exakt dort zu sterben, wo ich geboren wurde: in einer oberfränkischen Kleinstadt, in der ein Bierfest mit dem Namen Sandkerwa der absolute Höhepunkt des Jahres ist und den meisten das nur sechzig Kilometer entfernte Nürnberg schon »zu groß« oder »zu weit weg« ist.
    Und so war es kein Wunder, dass eine Frage immer öfter auftauchte. Sie lauerte mir bei der Arbeit auf, sie überraschte mich bei meinen Radtouren, ja manchmal riss sie mich sogar aus dem Schlaf. Die Frage lautete:
    Kann es das schon gewesen sein?
    Peter Greulich, bis zu seiner Pensionierung Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und Marketing von Seppelpeter's Spezialbräu, verstarb am 27. 11. 2056 in Bamberg-Strullendorf. Seiner Ehefrau Sabine Greulich und seinen drei leicht übergewichtigen Söhnen hinterlässt er ein Reihenhaus mit Kiesauffahrt und einen sauber polierten 5er BMW.
    Würde ich wirklich in dieser putzigen, oberfränkischen Stadt wohnen bleiben, in der nicht mal Deutschlehrer meinen Namen richtig aussprechen konnten? Dema verfehlt, Beder!
    In einer Stadt, in der man zu einem französischen Croissant Budderhörnla sagt und Adela statt Tschüß? Jeden Tag spürte ich ein wenig deutlicher, dass es nicht mehr meine Welt war, so gern ich sie auch mochte. Ich stellte mir ein anderes Leben vor, träumte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher