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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition)
Autoren: Eoin McNamee
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Royal Victoria in Belfast überführt. Fotos im Newry Reporter und im Belfast Telegraph zeigen, wie der Leichenwagen das Gelände des Krankenhauses verlässt. Vor den Toren sind Trauben von Menschen zu erkennen. Sie wirken wie ein Volk, das sich geschlagen gibt. Verdrossen, aneinandergedrängt. Fotografen der lokalen Presse sind da, Reporter in Mänteln. Von der Ankunft des Leichenwagens im Royal existieren keine Aufnahmen. Der Wagen wurde zu einem Hintereingang geleitet, zu einer Betonrampe, die zur Leichenhalle hinunterführt. Die Leiche wurde aus dem Sarg gehoben und von Helfern in Schürzen auf einen Rollwagen gelegt. Die Männer redeten leise miteinander, während sie Pearl durch den Wartebereich in die Pathologie fuhren. Die Instrumente, um sie zu sezieren, lagen für sie bereit. Die Waagen für ihre Organe. Pearls Fleisch, die Masse, zu der sie nun geworden war, abgewogen und analysiert. Der Raum gefliest, mit Ablaufrinnen. Schubladen aus Edelstahl, leistungsstarke Neonröhren, um Dunkelheit und Leichenschatten fernzuhalten.
    *
    An diesem Abend fuhr McCrink zurück an die Küste. Er war in einem Hotel in Rostrevor untergebracht. Er fuhr bis zum Great Northern Hotel hinaus, das dem Coal Pier gegenüberlag. Entlang der Küste waren viele Hotels nach Eisenbahngesellschaften benannt. The Great Northern. The Great Western. Sie waren im Stil traditioneller europäischer Hotels gebaut, hatten hohe Foyers und Kofferträger in Uniform. Schimmelige Ballsäle und ungepflegte Büsche zeugten vom Niedergang. An den Wänden dieser Hotels hingen noch immer gerahmte Poster, die die Träumereien des Massentourismus der Fünfzigerjahre zeigten. Ausflüge und Exkursionen in gemieteten Ausflugskutschen und Zügen, die Familien aus den Vororten holten, von denen man damals träumte. Die Zugverbindungen waren eingestellt, die Unternehmen in Konkurs. Man konnte die gewaltigen Hotels meilenweit sehen, düstere, schwach beleuchtete Endstationen am winterlichen Ufer des Meeresarmes.
    McCrink checkte ein und rief in Corry Square an. Johnston hob ab, McCrink verlangte nach Speers.
    »Inspector Speers ist nach Hause gegangen, Sir«, sagte Johnston.
    »Wie geht die Untersuchung voran?«
    »Ein Urteil steht mir nicht zu.«
    »Um Himmels willen, Johnston! Ich habe Sie nicht gebeten, jemanden ins Fegefeuer zu schicken. Ich frage bloß, wie der Tag gelaufen ist.«
    »Wenn Sie mich fragen, Sir, deutet alles auf McGladdery. Wenn Sie schon vom Ewigen Feuer reden.«
    »Und weiter?«
    »Wir haben Zeugen, die aussagen, er habe mit Miss Gamble getanzt. Wir haben Zeugen, die aussagen, er habe sich vulgär verhalten. Nach dem Tanz ist er plötzlich verschwunden. Vor der Halle ist ein Fahrrad gestohlen und am Damolly Cross gefunden worden.«
    »Was sagt McGladdery dazu?«
    »Streitet alles ab. Lacht, wenn es ihm an den Kragen geht und man ihm mit geraden Gedanken kommt.«
    »Er lacht?«
    »Er glaubt, es ist ein Scherz, wenn eine Frau wie ein Tier nackt und tot auf einem Feld abgelegt wird.«

Vier
    R ichter Curran war am Billardtisch im Billardraum des Reform Clubs an der Royal Avenue. Er spielte mit Harry Ferguson, der für seine Wahlkampagne verantwortlich war. Sie spielten Carambolage, setzten einen Guinea pro Kugel. Ihr Tisch war der einzige, der besetzt war. Ferguson baute die Kugeln auf und spielte an. Der Billardraum befand sich am Kopf des Gebäudes, in einem Turm. An den beiden Enden des Raumes brannte jeweils ein Feuer im Kamin, an den Wänden hingen Wappen und Portraits. Jedes Mal, wenn Ferguson eingeladen wurde, in dem Raum zu spielen, kam er sich vor, als befände er sich in einem Schloss aus einem Bilderbuch, einem Ort, an dem sich Wahrnehmungen verschoben, an dem Grausamkeiten vorstellbar waren, wie man sie in Kinderzimmern erzählt. Die Fenster waren weiß vom Nebel. Die ganze Stadt stand im Banne dieses Nebels, wirkte eingeschlossen und in sich gekehrt. Ferguson kam sich vor, als begegnete ihm hier geradezu der Modellfall einer Wetterlage.
    Curran studierte die Anordnung der Kugeln auf dem Tisch, ihre zufällige Neuordnung nach dem ersten Stoß. Er fuhr mit der Hand über den Rand des Billardtuches mit den Kreidespuren. Sie spielten, während sich die Nacht herabsenkte. Nur über den Tischen brannte Licht. Der Richter in Nadelstreifenhosen, weißem Hemd und Krawatte wie der Zeremonienmeister, der den Beginn der Nacht einzuläuten hatte. Auf dem Tisch unter dem Gestell mit den Billardstöcken und der Tafel für die Resultate lag ein
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