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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition)
Autoren: Eoin McNamee
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Beobachtet die Nachtschicht, die aus der Straßenbahn steigt. Macht lüsterne und dreckige Bemerkungen, die sie hören können.«
    »Woher hat er den Kratzer im Gesicht?«
    »Das ist die Frage.«
    »Die Sonntagsklamotten hat er auf jeden Fall nicht von hier.«
    »War ein Jahr in England.«
    »So sieht er aus.«
    Die Kleidung viel zu protzig für diese Stadt. Ließ ihn aussehen wie einen Marktschreier vom Rummel. Als verberge sich eine lüsterne Karnevalsattraktion auf dem Gelände des Pubs. Eine Groteske. Ein eingesperrter Schwachkopf, der in der Dunkelheit wimmert.
    »Nehmen wir ihn gleich mit?«
    »Lassen wir ihn. Er wird irgendwann von sich aus zu uns kommen.«
    »Typen wie er stellen sich nie selber.«
    »Das hab ich auch nicht gemeint.«

Drei
    Corry Square, 31. Januar 1961
    I n der Wache am Corry Square war ein Einsatzraum eingerichtet worden. In der Mitte des Raumes stand eine Pinnwand mit Übersichtskarten. Man hatte Platz geschaffen für Mervyn Grahams Fotos vom Tatort und von der Autopsie. Das Postamt hatte eine Reihe von Telefonleitungen gelegt, die direkt mit dem Fernmeldeamt verbunden waren. Es gab Fotos des toten Mädchens aus der Spätausgabe des Belfast Telegraph. Sie warteten darauf, dass alle Aufnahmen des Tatortes entwickelt sein würden, und auf die Resultate der Autopsie. Johnstons Männer hatten damit begonnen, Zeugen zur Befragung auf die Wache zu bringen.
    Die Einheimischen brachten es nicht fertig, sich das Foto des Mädchens anzusehen. Sie hielten ihre Köpfe über die Tische gebeugt, als würden sie eine Art persönliche Totenmesse lesen. McCrink betrachtete die Aufnahme. Die Lücke zwischen ihren Zähnen. Ihre nach unten gezogenen Mundwinkel, die engherzige Sinnlichkeit verrieten.
    »Faulkner hat sich schon wieder gemeldet. Er will den, der es getan hat, hängen sehen.«
    »Ich hab gedacht, der Strick wäre abgeschafft.«
    »Nur auf der anderen Seite des Teichs. Hier nicht. Hier gibt’s die Todesstrafe immer noch. Bei uns hat sich der Henker noch nicht arbeitslos gemeldet.«
    »Faulkner ist ein Mann mit modernen Ansichten. Er wird den Täter begnadigen«, sagte Speers.
    »Er wird gar niemanden begnadigen«, sagte Johnston, »Faulkner wird einen Mann, der ein Mädchen so zugerichtet hat, genauso wenig begnadigen wie ein Wiesel in der Schlinge.«
    »Auf der anderen Seite des Teichs wird über die Abschaffung des Strickes diskutiert«, sagte McCrink.
    »Vergessen Sie nicht, es herrscht immer noch Kriegszustand, Inspector«, sagte Speers.
    McCrink sah ihn an. Sie wussten, was das bedeutete. Wer die Regierung stürzen wollte, musste immer noch mit der Todesstrafe rechnen. Durch das Drahtglas der Feuertür konnte McCrink die Zeugen sehen. Sie saßen auf Bänken an den Wänden des unfreundlichen Korridors. Sie wirkten provinziell. Jugendliche mit Segelohren. Grobknochige Mädchen, die ihre Handtaschen aus Kunstleder auf den Knien festhielten. Mädchen aus den Textilfabriken, deren Hände von den Nadeln der Webmaschinen mit Verletzungen übersät waren. Er konnte sie sich beim Tanz am Samstagabend vorstellen. Herausgeputzt, bereit, sich auf den Mythos einzulassen, während die Band Presley und Bill Haley spielte – ach, Amerika, Amerika! – Pearl mittendrin, McGladderys Blick quer durch die Halle auf sich ziehend, hingenuschelte Liedtexte von Heimat und Einsamkeit, die den Raum mit Gefahr aufladen. Ein Stück Zuhause in der aus Bohlenbrettern gebauten Halle mit den angestaubten Wänden. Die Tänzer entstammten dem gottesgewaltigen Hinterland, sie hatten die Worte der Wanderprediger in ihren Zelten noch in den Ohren.
    »Wir sollten loslegen«, sagte McCrink.
    »Lassen Sie die ruhig noch ein Weilchen warten«, sagte Johnston.
    Die Atmosphäre der Polizeiwache soll auf sie einwirken. Sie sollen die geballte Erwartung der Stadt auf ihren Schultern spüren, das Gewicht und die Bedeutung ihrer Administration. Draußen wurde es dunkel. Es regnete. Die Tür der Wache öffnete und schloss sich, der Abendverkehr nahm zu, und bald war es, als spüre man den vorbeiziehenden Lärm im Gemäuer des Gebäudes. Die Zeugen warfen sich nervöse Blicke zu, weil sie das finstere Brummen einer Stadt hörten, die sich in Bewegung setzte.
    Es wurde 8 Uhr, bis Speers zu verstehen gab, dass die Vernehmungen beginnen konnten. Er benutzte einen Verhörraum im Untergeschoss, in dem ein verschrammter Tisch voller Kerben stand. Er wusste, dass sie das erwarteten. Er machte ein hartes Gesicht und verhielt sich barsch. Er
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