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Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
Autoren: Lauren Oliver
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sauber gemacht worden. An einer Wand wirft die feuchte Tapete Blasen, und vorhin habe ich einen großen braunen Fleck auf einem der gestreiften Sofas entdeckt. Mrs Killegan bemerkte meinen Blick und warf beiläufig einen Schal darüber, um ihn zu verdecken.
    »Du siehst wirklich wunderschön aus, Hana«, sagt meine Mutter.
    »Danke«, entgegne ich. Ich weiß, dass ich wunderschön aussehe. Das klingt vielleicht eingebildet, aber es ist die Wahrheit.
    Das ist noch etwas, das sich seit meinem Eingriff verändert hat. Obwohl mir die Leute auch früher schon dauernd sagten, dass ich hübsch sei, habe ich selbst es, als ich noch ungeheilt war, nicht so empfunden. Aber nach dem Eingriff ist eine Mauer in mir eingestürzt. Jetzt erkenne ich, dass ich in der Tat schlicht und ergreifend schön bin.
    Es interessiert mich allerdings nicht mehr.
    »So, hier.« Mrs Killegan taucht mit mehreren in Plastik gehüllten Kleidern über dem Arm aus dem Hinterzimmer auf. Ich unterdrücke einen Seufzer, aber nicht schnell genug. Mrs Killegan legt mir eine Hand auf den Arm. »Keine Sorge, Schätzchen«, sagt sie. »Wir finden das perfekte Kleid. Darum geht es schließlich, nicht wahr?«
    Ich lasse ein Lächeln auf meinem Gesicht erscheinen und das hübsche Mädchen im Spiegel tut es mir nach. »Selbstverständlich«, sage ich.
    Ein perfektes Kleid. Ein perfekter Partner. Ein perfektes Leben voller Glück.
    Perfektion ist ein Versprechen; sie bestärkt uns darin, dass wir Recht haben.
    Mrs Killegans Geschäft liegt in Old Port und als wir wieder auf die Straße hinaustreten, atme ich die vertrauten Gerüche von getrocknetem Seetang und altem Holz ein. Das Wetter ist schön, aber aus der Bucht weht ein kalter Wind. Nur ein paar wenige Boote schaukeln auf dem Wasser, vor allem Fischerboote oder mit Werbung versehene Segelboote. Aus der Entfernung sehen die kotverdreckten Holzpfeiler im Wasser aus wie Schilfgras.
    Bis auf zwei Aufseher und Tony, unseren Leibwächter, ist die Straße verlassen. Kurz nach den Zwischenfällen, bei denen Fred Hargroves Vater, der Bürgermeister, getötet wurde, haben meine Eltern einen Sicherheitsdienst engagiert und es wurde beschlossen, dass ich mein Studium abbrechen und so bald wie möglich heiraten sollte.
    Jetzt begleitet uns Tony überallhin. Wenn er frei hat, wird er von seinem Bruder Rick vertreten. Es hat einen Monat gedauert, bis ich die beiden auseinanderhalten konnte. Sie haben kurze, dicke Hälse und glänzende Glatzen. Beide reden sehr wenig und wenn sie es doch tun, ist es niemals interessant.
    Eine meiner größten Ängste vor dem Eingriff war, dass das Heilmittel irgendwie mein Gehirn ausknipsen und meine Denkfähigkeit beeinträchtigen würde. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ich kann jetzt viel klarer denken. In gewisser Weise fühle ich sogar klarer. Früher wurden meine Gefühle immer von einer Art Fieber begleitet; ich war von Panik, Angst und widerstreitenden Wünschen erfüllt. In manchen Nächten konnte ich kaum schlafen, an manchen Tagen hatte ich das Gefühl, mein Inneres versuche mir aus dem Hals zu krabbeln.
    Ich war infiziert. Jetzt ist die Infektion weg.
    Tony steht an das Auto gelehnt da. Ob er wohl die ganzen drei Stunden, die wir bei Mrs Killegan waren, in dieser Position verharrt hat? Als wir näher kommen, richtet er sich auf und öffnet meiner Mutter die Autotür.
    »Danke, Tony«, sagt sie. »Gab’s Schwierigkeiten?«
    »Nein, Madam.«
    »Gut.« Sie setzt sich auf die Rückbank und ich rutsche neben sie. Wir haben dieses Auto erst seit zwei Monaten – ein Ersatz für das demolierte – und nur ein paar Tage, nachdem wir es bekommen hatten, hat jemand mit einem Schlüssel das Wort SAU in den Lack gekratzt, während meine Mutter beim Einkaufen war. Insgeheim glaube ich, dass meine Mutter Tony nur engagiert hat, um das neue Auto zu schützen.
    Nachdem Tony die Autotür geschlossen hat, bekommt die Welt draußen vor den getönten Scheiben einen dunkelblauen Stich. Er stellt im Radio den NNS ein, den Nationalen Nachrichtensender. Die Stimmen der Radiosprecher sind vertraut und beruhigend.
    Ich lehne den Kopf zurück und sehe zu, wie die Welt draußen am Fenster vorbeizieht. Ich habe mein ganzes Leben in Portland verbracht und verbinde mit fast jeder Straße und jeder Ecke Erinnerungen. Aber auch die sind jetzt weit entfernt, sicher in der Vergangenheit versunken.
    Vor einem ganzen Leben saß ich mit Lena auf diesen Picknickbänken und lockte Möwen mit Brotkrumen. Wir
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