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Replay - Das zweite Spiel

Titel: Replay - Das zweite Spiel
Autoren: Ken Grimwood
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Vergleich zu einem Ertrinkenden gezogen, der die Ereignisse seines Lebens vor sich ablaufen sieht, hatte mit etwas Derartigem gerechnet, als ihn der Schmerz zum ersten Mal traf. Das Gehirn war zu erstaunlichen Leistungen der Einbildungskraft und der Zeitkompression oder -dehnung imstande, besonders im Moment einer tödlichen Krise.
    Natürlich, dachte er, und rieb sich erleichtert über die schwitzende Stirn. Das ergab wirklich Sinn, war viel einleuchtender als die Annahme, er habe mehrere Leben durchlebt und all die Erfahrungen gemacht…
    Jeff blickte das Telefon an. Es gab nur eine Möglichkeit, sich Gewissheit zu verschaffen, doch als er die Nummer der Auskunft von Westchester County wählte, kam er sich ein wenig albern vor.
    »Welche Stadt, bitte?«, fragte die Telefonistin.
    »New Rochelle. Eine Eintragung für … Robison, Steve oder Steven Robison.«
    Es folgte eine Pause, ein Klicken in der Leitung, und dann las die Computerstimme mit teilnahmsloser Monotonie die Nummer vor.
    Vielleicht hatte er den Namen des Mannes irgendwo aufgeschnappt, dachte Jeff, ihn vielleicht in einer kleinen Zeitungsmeldung gelesen. Der Name konnte sich in seinem Gedächtnis festgesetzt, sich Wochen oder Monate später subtil mit seiner Selbsttäuschung verwoben haben …
    Er wählte die Nummer, die ihm der Computer genannt hatte. Ein junges Mädchen meldete sich, näselnd offenbar aufgrund verstopfter Nebenhöhlen.
    »Ist… äh … deine Mutter zu Hause?«, fragte Jeff.
    »Einen Moment. Mum! Telefon!«
    Eine Frauenstimme meldete sich, gedämpft und verzerrt, atemlos. »Hallo?«, sagte sie.
    Er war sich nicht sicher, sie atmete so rasch und flach. »Spreche ich mit… Pamela Robison? Pamela Phillips?«
    Schweigen. Sogar ihr Atem stockte.
    »Kimberly«, sagte die Frau. »Du kannst jetzt auflegen. Es ist Zeit, dass du noch eine Contac und etwas Hustensaft einnimmst.«
    »Pamela?«, sagte Jeff, als das Mädchen den Hörer aufgelegt hatte. »Hier ist…«
    »Ich weiß. Hallo, Jeff.«
    Er schloss die Augen, atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder entweichen. »Dann ist… es wirklich geschehen. Alles. Starsea und Montgomery Creek und Russell Hedges. Du weißt, wovon ich rede.«
    »Ja. Ich war mir selbst nicht sicher, ob es wirklich war - bis ich deine Stimme hörte. Mein Gott, Jeff, ich bin immer und immer wieder gestorben, es war…«
    »Ich weiß. Bei mir war es das Gleiche. Aber davor … erinnerst du dich wirklich an all die Dinge, die wir erlebt haben, all die Leben?«
    »An jedes einzelne davon. Ich war Ärztin und Künstlerin … du hast Bücher geschrieben, wir …«
    »Wir sind gesegelt.«
    »Auch das.« Er hörte ihr Seufzen, ein gedehnter Laut des Bedauerns und der Müdigkeit und mehr. »Was den letzten Tag betrifft, im Central Park …«
    »Ich dachte, es würde das letzte Mal für mich sein, ich dachte, du - wärst verschwunden. Für immer. Ich musste zum Schluss bei dir sein, auch wenn es nur… ein Teil von dir war, der mich nicht kannte.«
    Sie sagte nichts, und nach einer Weile lastete das Schweigen zwischen ihnen wie die verlorenen Jahre.
    »Was fangen wir jetzt an?«, fragte Pamela schließlich.
    »Ich weiß nicht«, sagte Jeff. »Ich kann noch nicht klar denken. Du etwa?«
    »Nein«, gestand sie ein. »Ich weiß nicht, was im Moment das Beste für uns beide wäre.« Sie stockte. »Weißt du … Kimberly ist heute krank aus der Schule heimgekommen - deshalb ist sie ans Telefon gegangen -, aber sie hat nicht bloß eine Erkältung. Heute ist der Tag, an dem sie ihre erste Periode hatte. Ich starb in dem Moment, als sie zur Frau wurde. Und jetzt…«
    »Ich verstehe.«
    »Ich habe sie nie groß werden sehen. Und ihr Vater auch nicht. Und Christopher, er fängt gerade mit der High School an … Diese Jahre sind so wichtig für sie.«
    »Es ist noch zu früh, als dass wir schon feste Pläne machen könnten«, sagte Jeff. »Es gibt zu viel, was wir aufnehmen und verarbeiten müssen.«
    »Aber ich bin so froh zu wissen… dass ich mir das alles nicht eingebildet habe.«
    »Pamela …« Er suchte vergeblich nach Worten, mit denen er seine Empfindungen hätte ausdrücken können. »Wenn du wüsstest, wie sehr…«
    »Ich weiß. Du brauchst es mir nicht mehr zu sagen.«
    Er legte den Telefonhörer behutsam nieder und betrachtete ihn lange. Es war möglich, dass sie so viel zusammen erlebt hatten, so viel gesehen und gewusst und miteinander geteilt hatten, dass sie alldem in dieser Welt nicht mehr gewachsen waren.
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