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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Alexandra Guggenheim
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wütender und leidenschaftlicher hackte ich die Leinwand entzwei, erschauderte wohlig bei dem Geräusch des zerreißenden Stoffes. Cornelia stand wie erstarrt, dann begriff sie.
    „Ja, du hast Recht. Vater hätte es so gewollt. Mach weiter, Samuel.“
    Schließlich war auch das letzte Stückchen Leinwand aus dem Keilrahmen herausgerissen. Ich bückte mich, ergriff mit beiden Händen die Fetzen und schleuderte sie ins Feuer. Die Flammen züngelten hoch, fraßen sich durch das Gewebe, es roch nach verbranntem Leinöl. Cornelia kam mir zu Hilfe. Gemeinsam warfen wir das, was von dem Bildnis übrig geblieben war, in den Kamin und warteten, bis alles verglüht war.
    Jetzt gab es keine Spuren mehr, keine Erinnerungen. Der letzte Wunsch des Meisters war erfüllt.
    Ganz still standen wir da und schauten ins Feuer, das sich wieder beruhigt hatte. Unsere Fingerspitzen berührten einander. Wanderten den Arm hinauf bis zur Schulter, strichen scheu über Hals, Wange und Mund. Cornelia bog den Kopf zurück. Schemenhaft sah ich die sanft geschwungene, pulsierende Linie an ihrem Hals.
    Unsere Hände arbeiteten sich durch die Lagen der dicken, kratzigen Wollstoffe, suchten Knöpfe und Bänder. Vorsichtig löste ich Cornelias Zöpfe. Das Haar fiel ihr in roten Wellen bis auf die Taille. Wir fühlten die rauen, groben Leinenhemden unter unseren zitternden Händen. Ich zog Cornelia zu mir heran, bebend pressten wir uns aneinander. Kaum hörbar seufzte sie auf, suchte meinen Blick.
    Als ich ihre Lippen gefunden hatte, spürte ich ein nie gekanntes Gefühl von Glück, von Verlangen. Cornelia antwortete zärtlich und glühend. Sehnsüchtig strichen unsere Finger über weiche Haut, verharrten, kreisten. Eilten begierig weiter zu Regionen, die sonst den Blicken verborgen blieben. Nur noch uns beide gab es auf der Welt. Niemanden sonst.

    5. Oktober 1669
    „Du musst von hier fort, Samuel“, hörte ich Cornelia sagen. Ich spürte die sanfte Schwere ihres Kopfes an meiner Brust. Die Morgendämmerung drang durch das Fenster.
    Ja, ich wusste es. Hatte es schon in dem Moment gewusst, als ich nach dem Dolch griff, um die Leinwand zu zerstückeln. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis dem Professor die Nachricht vom Tod des Meisters zu Ohren käme. Ganz sicher würde er sofort sein Bild verlangen und außer sich sein, wenn man es nicht finden könnte. Überall würde er es suchen lassen - vergebens. Der Verdacht würde auf mich fallen, den Gehilfen des Malers. Einige Leute würden mich vielleicht als denjenigen wiedererkennen, der mit dem Geldbeutel des Polizeihauptmanns davongelaufen war. Man würde mich verurteilen und nach dem Mann mit der schwarzen Kapuze rufen. Und danach würde der Professor mich zum ersten Mal anschauen. Wenn ich vor ihm auf dem Seziertisch läge und er nach dem Skalpell griffe, um in mein bleiches, totes Fleisch zu schneiden. Bevor er aus meinem Fuß die Sehnen heraustrennte und sie einem gaffenden Publikum mit triumphierender Miene entgegenhielte …
    Ich musste fliehen. Musste Amsterdam verlassen, mich in Sicherheit bringen. Ein letztes Mal entzündete ich die Kerze auf meiner Truhe und kleidete mich an. Die wenigen Habseligkeiten, die ich von zu Hause mitgebracht hatte, waren schnell in einem Korb verstaut. Ein paar Kleidungsstücke, meine Bibel, ein Notizheft, Feder und Tinte.
    Cornelia blickte zu mir auf. In ihren Augen lag unendliche Traurigkeit. Sie spiegelten meine Seele. Langsam erhob sie sich. Wir hielten uns aneinander fest wie Ertrinkende. Unsere Lippen spürten dem Geschmack des Verlangens nach. Ich fühlte noch einmal mein Herzklopfen und ihr Feuer, konnte den stummen Schrei der Verzweiflung in mir nicht länger zurückhalten.
    Irgendwann riss ich mich los und taumelte zur Tür.
    „Warte“, hörte ich Cornelias erstickende Stimme. Sie band die Kette mit dem Medaillon ihrer Mutter los und hängte sie mir um den Hals. Ich presste meinen Mund auf das glänzende Metall, in dem ich die Glut ihres Körpers fühlte.

    Irgendwie gelangte ich ins Freie, stolperte die Rozengracht entlang, duckte mich dicht an den Eingängen der schmalen, gedrungenen Häuser entlang. Lief hinter der Westerkerk über den Dam, auf dem die ersten Händler ihre Marktstände mit Waren füllten. Es war kalt, der Himmel spannte sich grau und abweisend über Amsterdam.
    Immer weiter lief ich, vorbei am Hafen, bis zu dem großen Tor im Osten, durch das ich ein Jahr zuvor mit meinem Vater diese Stadt betreten hatte. Etwas Nasses rann über
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