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Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Rembrandts Vermächtnis (German Edition)

Titel: Rembrandts Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Alexandra Guggenheim
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und weckte Rebekka und Cornelia. Dann rannte ich zur Westerkerk, bog hinter der Prinsengracht nach rechts ab und gleich wieder nach links in die Reestraat. Zu dieser frühen Morgenstunde waren die Straßen noch fast menschenleer. Einige Enten, die es sich über Nacht auf einer Holzkiste unter den Lindenbäumen bequem gemacht hatten, flogen aufgeregt quakend zur Gracht davon.
    Doktor de Witte war noch im Schlafrock, als er durch den Türspalt blinzelte. Brummig fragte er mich, welchen Grund es gäbe, einen ehrbaren Menschen zu einer solch unchristlichen Zeit aus dem Bett zu scheuchen.
    „Schnell, Mijnheer Medicus, Ihr müsst sofort kommen, der Meister … “
    In Windeseile zog der Arzt sich an, klemmte seine Tasche unter den Arm und hastete schnaufend hinter mir her zur Rozengracht.

    Die Tür stand offen. Im Haus herrschte eine beängstigende Stille. Auf Zehenspitzen schlich ich die Treppe zum Atelier hinauf, hinter mir Doktor de Witte. Die Öllampen auf dem Boden waren gelöscht. Der Meister saß in seinem Armlehnstuhl, der Kopf war ihm seitlich auf die Schulter gefallen. Er saß genauso da, wie ich ihn verlassen hatte. Neben ihm knieten Cornelia und Rebekka und hielten seine Hände fest. Als sie uns kommen hörte, wandte Cornelia den Kopf und blickte mich mit Tränen überströmtem Gesicht an. Der Meister war tot.

    Am Mittag war die Stube bis auf das Bett leer geräumt. Die Spiegel im Haus waren verhüllt, alle Bilder zur Wand gedreht, sämtliche Fenster geschlossen. Einige Nachbarn kamen, um Abschied zu nehmen. Jeder betete leise und für sich. Der Meister lag in seinem Bett, der Kopf ruhte auf zwei dicken Kissen. Er trug einen frischen Malerkittel und eine weiße, frisch gestärkte Malerhaube.
    Rebekka werkelte unterdessen in der Küche und stellte Bier, Reisbrei und Brot für die Gäste bereit. Immer wieder schnäuzte sie sich und wischte mit dem Zipfel ihrer Schürze über die Augen.
    „Wir brauchen einen Prediger und sechs Sargträger. Und das Grab muss auch bestellt werden. Hat jemand schon dem Tischler Bescheid gesagt? Wer soll das nur alles bezahlen? Und was wird mit uns? Herrje, was für ein Elend.“

    Wenig später klopfte Christiaen Dusart an die Tür, Cornelias Vormund. Gerrit, der Sohn des Fischhändlers, war zu ihm gelaufen und hatte ihm die schreckliche Nachricht überbracht. Dusart war ein alter Freund des Meisters und ein tatkräftiger Mann. Auf der Geburtstagsfeier vor drei Monaten hatte ich mich eine Weile mit ihm unterhalten.
    Er nahm Cornelia tröstend in den Arm und drückte Rebekka beruhigend die Hand.
    „Macht Euch keine Gedanken, Rebekka. Ich werde mich zuerst um das Begräbnis kümmern und danach um den Nachlass. Rembrandt war mein Freund, und als Vormund seiner Tochter werde ich Euch in dieser schweren Stunde zur Seite stehen. Diesen Liebesdienst bin ich ihm schuldig. Gleich, als mich die traurige Mitteilung erreichte, habe ich eine Anzeige vorbereitet.“
    Er setzte sich zu uns an den Tisch und holte ein Blatt Papier aus seinem Mantel, auf dem die Sätze mit flüchtiger Handschrift festgehalten waren.
    „Gott dem Allmächtigen hat es in seiner ewigen und unerschütterlichen Weisheit gefallen, meinen lieben Vater Rembrandt van Rijn, Maler in Amsterdam, geboren als Sohn eines Müllers in Leiden, aus dieser irdischen Welt zu sich in die gesegneten Freuden seines ewigen Reiches zu rufen, am heutigen Tag um acht Uhr morgens. In seinen letzten Jahren hatte er manche Krankheiten zu erdulden, doch seine unbändige Willenskraft hielt ihn aufrecht, sodass sein Schaffen unbeeinträchtigt blieb. Nun folgt er meinem Bruder, seinem geliebten Sohn Titus, in die Ewigkeit. Mag auch viel Leid die Frommen treffen, der Herr wird sie aus aller Not befreien. Cornelia van Rijn. Amsterdam, den 4. Oktober 1669.“
    Diese Worte rührten uns alle ans Herz. Jeder hing seinen Gedanken nach, traurig und stumm.

    Der Fischhändler und sein Sohn übernahmen die Totenwache. Ich saß in meiner Kammer auf dem Bett und fühlte tiefe Verzweiflung in mir. Was sollte jetzt aus mir werden, ohne den Meister? Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Cornelia schlüpfte herein.
    „Darf ich hier oben bei dir bleiben? Ich habe es bei den anderen nicht mehr ausgehalten. Es ist alles so schrecklich.“
    Sie setzte sich neben mich, stützte das Gesicht in die Hände und schluchzte. Ich legte meinen Arm um ihre Schultern und zog sie an mich. Sie hatte nun fast ihre ganze Familie verloren. Zuerst die Mutter, vor einem Jahr den
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