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Reisestipendien

Reisestipendien

Titel: Reisestipendien
Autoren: Jules Verne
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hatten. Das war wenigstens die in ihrem Schreiben ausgesprochene Ansicht der Mrs. Kathlen Seymour, und dieser mußte jedenfalls Rechnung getragen werden.
    Es versteht sich von selbst, daß die Familien der Schüler dringend ersucht wurden, dem Reiseplane zuzustimmen, den Ardagh ihnen schriftlich entwickelte. Von den jungen Leuten sollten ja mehrere auf den Antillen nähere oder entferntere Angehörige wiederfinden, die sie seit einer Reihe von Jahren nicht gesehen hatten, z. B. Hubert Perkins auf Antigoa, Louis Clodion auf Guadeloupe und Niels Harboe auf Sankt-Thomas. Jetzt bot sich ja, und obendrein unter ausnehmend günstigen Verhältnissen, eine unerwartete Gelegenheit zu einem Wiedersehen.
    Die Familien waren vom Direktor Ardagh übrigens immer auf dem Laufenden erhalten worden. Sie wußten schon, daß in der Antilian School unter den Pensionären ein Wettbewerb um Reisestipendien veranstaltet worden war. Vernahmen sie dann, nach Verkündigung des Ergebnisses, daß die Preisträger Westindien besuchen sollten, so glaubte der Direktor annehmen zu dürfen, daß das deren eigenem sehnlichen Wunsche entsprechen werde.
    Inzwischen dachte Ardagh über die ihm zufallende Wahl eines Führers nach, der an der Spitze der wandernden Klasse stehen sollte, eines Mentors, dessen weise Ratschläge die Harmonie unter den noch etwas »grünen« Telemachs zu erhalten verspräche. Das bereitete ihm jedoch keine geringe Verlegenheit. Sollte er sich etwa an den Lehrer der Antilian School wenden, der am geeignetsten erschien, in diesem Falle allen Anforderungen zu entsprechen? – Das Schuljahr war aber noch nicht zu Ende. Vor den Ferien durfte der Unterricht auf keinen Fall unterbrochen werden, das Lehrerkollegium mußte also beisammen bleiben.
    Aus gleichem Grunde glaubte auch Ardagh, die neun Preisträger nicht selbst begleiten zu können. Seine Anwesenheit war in den letzten Monaten des Schuljahrs unbedingt erforderlich, er mußte personlich die für den 7. August festgesetzten Prüfungen und die Zensur-und Prämienverteilung leiten.
    Die Lehrer und er selbst kamen also nicht in Frage, dagegen hatte er gerade einen Mann, wie er ihn brauchte, an der Hand, einen durchweg ernsten und gediegenen Mann, der seine Aufgabe gewissenhaft erfüllen würde, der das vollste Vertrauen verdiente, allgemein beliebt war und den die jungen Reisenden gern als Mentor annehmen würden.
    Nun fragte es sich freilich, ob die betreffende Persönlichkeit ein solches Angebot annehmen, ob der Mann zustimmen würde, diese Reise zu unternehmen, und ob es ihm paßte, sich übers Weltmeer hinauszuwagen.
    Am 24. Juni, fünf Tage vor der für die Abfahrt des »Alert« bestimmten Zeit, ließ der Direktor Ardagh zeitig am Vormittage Herrn Patterson wegen einer wichtigen Mitteilung zu sich rufen.
    Patterson, der Verwalter der Antilian School, war wie gewöhnlich damit beschäftigt, die Abrechnung vom letztvergangenen Tage abzuschließen, als er zu dem Leiter der Anstalt entboten wurde.
    Patterson schob sich die Brille auf die Stirne und antwortete dem an der Tür wartenden Schuldiener:
    »Ich werde keinen Augenblick säumen, dem Rufe des Herrn Direktors zu folgen.«
    Dann ergriff er, die Brille wieder auf die Nase bringend, seine Feder, um den untern Halbbogen einer 9 zu vollenden, die er eben der Ziffernreihe der Ausgaben in seinem Hauptbuche anfügen wollte. Mit Hilfe seines Ebenholzlineals zog er hierauf einen Strich unter die Zahlenreihe, deren Zusammenrechnung er eben vollendet hatte. Ferner spritzte er die Feder mehrmals leicht über dem Tintenfasse aus, tauchte sie wiederholt in ein kleines Gefäß mit feinem Schrote und trocknete sie endlich mit größter Sorgsamkeit ab. Dann legte er sie neben das Lineal auf sein Pult, drehte den Auslauf des Schreibzeugs nach oben, um die Tinte darin wieder zurücklaufen zu lassen, legte ein sauberes Löschblatt auf die Seite mit den Ausgabeposten, wobei er sorgsam darauf achtete, den frischen Schwanz der 9 nicht zu verwischen, und legte das geschlossene Buch in das dafür bestimmte Fach im Bureau. Endlich kamen Radiermesser, Bleistift und Radiergummi wieder in ihren Behälter, er blies noch über seine. Schreibunterlage hin, um einige Staubkörnchen davon zu entfernen, erhob sich, indem er seinen runden Ledersessel zurückschob, zog die Schreibärmel ab und hängte sie in der Nähe des Kamins auf und bürstete auch Rock, Weste und Beinkleider sorgfältig ab. Jetzt ergriff er den Hut, strich mit dem Ellbogen darüber, um
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