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Reisestipendien

Reisestipendien

Titel: Reisestipendien
Autoren: Jules Verne
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schwierig sein, ererbte oder durch eigene Anstrengung erworbene Schätze besser zu verwenden wie hier zu Gunsten junger Menschen, denen die Sehnsucht nach der Ferne aus den Augen leuchtet. Mrs. Kathlen Seymour ist eine Dame, deren Name noch in später Zukunft rühmend genannt werden wird.
    – Sie sprechen mir aus der Seele, Herr Verwalter. Doch… kommen mir zum Kern der Sache. Es ist Ihnen natürlich ebenso bekannt, unter welchen Verhältnissen die Reise nach den Antillen vor sich gehen soll?
    – Ich bin darüber unterrichtet, Herr Direktor. Ein Schiff erwartet unsere jungen Reisenden, und ich hoffe, diese werden Neptun nicht anzuflehen haben, daß er den tobenden Wogen des Atlantischen Meeres sein
Quos ego
zurufe.
    – Das hoffe ich ebenfalls, Herr Patterson, da ja die Hin-und die Rückfahrt in der schönen Jahreszeit erfolgen soll.
    – Jawohl, bemerkte dazu der Verwalter, Juli und August sind ja die Monate, wo die launische Thetis mit Vorliebe ausruht…
    – Und diese Reise, fiel Ardagh ein, wird für meine Preisträger nicht weniger angenehm sein, als für die Person, die sie dabei begleiten wird.
    – Eine Person, sagte Patterson salbungsvoll, der die ehrenvolle Aufgabe zufallen wird, Mrs. Kathlen Seymour die tiefempfundene Ehrerbietung und die unverlöschliche Dankbarkeit der Pensionäre der Antilian School zu entbieten.
    – O, ich bedaure wirklich lebhaft, äußerte dazu der Direktor, daß ich nicht selbst diese Person sein kann. Am Ende des Schuljahres und angesichts der Prüfungen, denen ich beiwohnen muß, ist mein Fernsein aber unmöglich.
    – Freilich… leider unmöglich, Herr Direktor, stimmte der Verwalter ein, der aber – wer es auch sei – ist zu beneiden, der deshalb an Ihre Stelle treten wird.
    – Gewiß, mich bedrückt hierbei nur die Qual der Wahl. Ich brauche einen erfahrenen Mann, auf den ich mich unter allen Umständen verlassen kann und der auch ohne Widerspruch den Familien unserer jungen Stipendiaten angenehm ist. Jetzt habe ich diesen Mann aber unter dem Personal der Anstalt gefunden…
    – Ohne Zweifel in einem der wissenschaftlichen oder technischen Lehrer…
    – Nein, es kann nicht davon die Rede sein, den Unterricht vor den Ferien zu unterbrechen. Eine solche Unterbrechung erschien mir minder folgenschwer in der Finanzverwaltung der Schule, und deshalb, Herr Verwalter, ist meine Wahl, die jungen Leute nach den Antillen zu begleiten, auf Sie gefallen.«
    Patterson hatte seine Überraschung bei diesen Worten nicht verhehlen können. Er erhob sich seiner ganzen Länge nach und schob die Brille nach der Stirn.
    »Ich… Herr Vorsteher? rief er etwas befangenen Tones.
    – Jawohl, Sie, Herr Verwalter, denn ich bin überzeugt, daß das Rechnungswesen während der Reise der Stipendiaten dann ebenso geordnet geführt werden wird, wie von jeher das der Schule.«
    Mit einem Zipfel seines Taschentuchs wischte Patterson bedächtig die etwas angelaufenen Gläser seiner Brille ab.
    »Ich bemerke Ihnen noch, setzte Ardagh hinzu, daß dem Mentor – dank der Hochherzigkeit der Mistreß Kathlen Seymour – dem Mentor, dem diese wichtige und allerdings verantwortungsreiche Aufgabe zufällt, ebenfalls ein Preis von siebenhundert Pfund Sterling zugesichert ist. Ich ersuche Sie also, Herr Patterson, sich binnen fünf Tagen zur Abreise bereit zu halten«
Drittes Kapitel.
Herr und Frau Patterson.
    Horatio Patterson nahm die Stelle des Verwalters der Antilian School erst ein, seit er den Lehrerberuf aufgegeben und sich einer Art Beamtenlaufbahn zugewendet hatte. Er war ein vortrefflicher Lateiner, obwohl in England die Sprache Ciceros und Virgils sonst nicht die Beachtung erfährt, die ihr in Frankreich zu teil wird, wo sie in Universitätskreisen einen hohen Rang einnimmt. Bei der französischen Rasse kommt freilich in Betracht, daß sie lateinischen Ursprungs ist, was für die Söhne Albions ja nicht zutrifft, und deshalb kann sich in diesem Lande die Sprache Roms kaum gegenüber dem Ansturm der neueren Sprachen behaupten.
    Doch wenn Herr Patterson sie auch nicht mehr lehrte, so blieb er im Grunde seines Herzens doch den Meistern des von ihm verehrten römischen Altertums unverbrüchlich treu. Während er jedoch viele Aussprüche von Virgil. Ovid und Horaz für sich wiederholte, widmete er der Verwaltung der Antilian School seine Veranlagung zu einem zuverlässigen, methodischen Rechner. Mit der peinlichen – fast kleinlichen – Ordnungsliebe, die ihn auszeichnete, machte er den Eindruck eines
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