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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan.
Autoren: Carlos Castaneda
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Fingerschnippens. Er beschäftigte dich damit, Steine umzudrehen, um deine Gedanken abzulenken und deinem Körper das Sehen zu ermöglichen.«
    Ich sagte ihm, daß die Ereignisse der letzten Tage meiner Vorstellung von der Welt einen irreparablen Schaden zugefügt hatten. Während der ganzen zehn Jahre unserer Verbindung, sagte ich, sei ich nie so aufgewühlt gewesen, nicht einmal, wenn ich psychotrope Pflanzen genommen hatte.
    »Kraft-Pflanzen sind nur ein Hilfsmittel«, sagte Don Juan. »Das Wirkliche geschieht, wenn der Körper erkennt, daß er sieht. Nur dann ist man fähig zu erkennen, daß die Welt, die wir jeden Tag vor Augen haben, nur eine Beschreibung ist. Meine Absicht war, dir dies zu zeigen. Leider hast du nur noch wenig Zeit, bevor der Verbündete dich angreifen wird.«
»Muß der Verbündete mich angreifen?«
    »Es ist unvermeidlich. Um zu sehen, muß man lernen, die Welt so zu sehen, wie die Zauberer sie sehen, und deshalb muß der Verbündete herbeibeschworen werden -und wenn das geschafft ist, dann kommt es.«
    »Hättest du mich nicht lehren können, zu sehen, ohne den Verbündeten herbeizubeschwören?«
    »Nein. Um zu sehen, muß man lernen, die Welt auf andere Art zu sehen, und die einzige andere Art, die ich kenne, ist die Art des Zauberers.« 

20. Die Reise nach Ixtlan
    Gegen Mittag kehrte Don Genaro zurück, und auf Don Juans Vorschlag hin fuhren wir drei zu der Bergkette hinüber, wo ich am Vortag gewesen war. Wir wanderten auf demselben Pfad, den ich eingeschlagen hatte, aber statt auf dem Hochplateau haltzumachen, wie ich es getan hatte, stiegen wir weiter auf, bis wir den Kamm der Vorgebirge erreichten, und dann stiegen wir in ein flaches Tal ab. Auf der Kuppe eines hohen Hügels machten wir halt, um zu rasten. Don Juan wählte den Platz. Wie immer, wenn ich mit ihnen zusammen war, setzte ich mich automatisch so, daß Don Juan rechts und Don Genaro links von mir saßen und wir ein Dreieck bildeten.
    Der Wüsten-Chaparral hatte einen köstlichen, saftigen Glanz angenommen. Nach einem kurzen Frühlingsregen stand er in strahlendem Grün.
    »Genaro wird dir etwas erzählen«, sagte Don Juan ganz unvermittelt. »Er wird dir die Geschichte seiner ersten Begegnung mit seinem Verbündeten erzählen. Nicht wahr, Genaro?« In Don Juans Stimme klang etwas wie Überredung mit. Don Genaro sah mich an und kräuselte die Lippen, so daß sein Mund wie ein rundes Loch aussah. Er wölbte die Zunge gegen den Gaumen und öffnete und schloß den Mund, als litte er an Krämpfen. Don Juan sah ihn an und lachte laut. Ich wußte nicht, was ich davon  halten sollte.
    »Was tut er da?« fragte ich Don Juan. »Er ist ein Huhn«, sagte er. »Ein Huhn?«
»Schau nur, schau auf seinen Mund. Das ist der Hühnerarsch, und gleich wird er ein Ei legen.«
    Die Krämpfe um Don Genaros Mund schienen sich zu steigern. Er hatte einen befremdlichen, irren Blick in den Augen. Sein Mund öffnete sich, als erweiterten die Krämpfe das runde Loch. Mit der Kehle brachte er ein Krächzen hervor, verschränkte die Arme über der Brust mit einwärts gebogenen Händen und spuckte dann ganz unzeremoniell etwas Schleim aus.
    »Verflucht, das war kein Ei!« sagte er mit besorgter Miene. Seine Körperhaltung und sein Gesichtsausdruck waren so komisch, daß ich unwillkürlich lachen mußte. »Nun, da Genaro beinah ein Ei gelegt hätte, wird er dir vielleicht von seiner ersten Begegnung mit seinem Verbündeten erzählen«, drängte Don Juan. »Vielleicht«, sagte Don Genaro gleichgültig. Ich bestürmte ihn, es mir zu erzählen. Don Genaro stand auf und streckte die Arme und den Rücken. Seine Knochen knackten. Dann setzte er sich wieder. »Ich war noch jung, als ich zum erstenmal meinen Verbündeten angriff«, sagte er schließlich. »Ich erinnere mich, es war am frühen Nachmittag. Ich war seit Tagesanbruch auf dem Feld gewesen und kehrte nach Hause zurück. Plötzlich trat der Verbündete hinter einem Busch hervor und verstellte mir den Weg. Er hatte mich erwartet und forderte mich auf, mit ihm zu ringen. Ich wollte  umdrehen und ihn stehen lassen, aber dann dachte ich mir, daß ich stark genug sei, um es mit ihm aufzunehmen. Aber ich hatte Angst. Ein Schauer lief mir über den Rücken, mein Hals wurde steif wie ein Brett. Nebenbei bemerkt, das ist immer das Zeichen, daß du bereit bist; ich meine, wenn dein Genick steif wird.« Er öffnete das Hemd und zeigte mir seinen Rücken. Er spannte die Nacken- und Armmuskeln an. Ich stellte
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