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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan.
Autoren: Carlos Castaneda
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Lage mit voller Wucht zu Bewußtsein, und mein Verstand setzte aus. Der Coyote stand auf, und unsere Blicke trafen sich. Ich starrte ihm fest in die Augen. Es war, als zögen sie mich an, und plötzlich wurde das Tier irisierend; es fing an zu leuchten. Vor meinem inneren Auge rollte noch einmal die Erinnerung an ein anderes Ereignis ab, das sich vor Jahren zugetragen hatte, als ich unter dem Einfluß von Peyote die Metamorphose eines gewöhnlichen Hundes in ein unvergeßliches, irisierendes Wesen erlebt hatte. Es war, als hätte der Coyote diesen Rückblick ausgelöst, und die Erinnerung an das frühere Ereignis raffte sich und überlagerte die Gestalt des Coyoten. Der Coyote war ein flüchtiges, glänzendes, leuchtendes Wesen. Sein Leuchten blendete mich. Ich wollte die Augen mit den Händen bedecken, um sie zu schützen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Das leuchtende Wesen berührte mich an einer unbestimmten Stelle, und mein Körper erlebte ein so köstliches, unbeschreibliches Wärme- und Wohlgefühl, daß es war, als hätte die Berührung mich explodieren lassen. Ich erstarrte. Ich spürte weder meine Füße noch meine Beine noch einen anderen Teil meines Körpers, aber irgend etwas hielt mich aufrecht. Ich hatte keine Vorstellung, wie lange ich in dieser Haltung blieb. Inzwischen hatten der Coyote und der Hügel, auf dem ich stand, sich aufgelöst. Ich hatte keinerlei Gedanken oder Gefühle. Alles hatte aufgehört, und ich schwebte frei. Plötzlich spürte ich, daß mein Körper angestoßen wurde, und dann wurde er von etwas eingehüllt, das ihn in Flammen setzte. Ich gewahrte, daß die Sonne mich beschien. Vage konnte ich die ferne Bergkette im Westen erkennen. Die Sonne berührte beinah den Horizont. Ich schaute direkt hinein - und dann sah ich die »Linien der Welt«. Ich erblickte eine unendliche Fülle fluoreszierender weißer Linien, die alles um mich her kreuz und quer überzogen. Einen Moment glaubte ich, das, was ich erlebte, sei die Brechung des Sonnenlichts in meinen Wimpern. Ich zwinkerte und schaute wieder. Die Linien waren geblieben und überlagerten alles, das heißt, sie gingen durch alles hindurch, was sich in der Umgebung befand. Ich drehte mich um und nahm diese ungewöhnliche neue Welt in Augenschein. Die Linien blieben sichtbar und fest, auch wenn ich von der Sonne wegschaute. So stand ich auf dem Hügel in einem Zustand der Ekstase, wie es mir erschien, für die Dauer einer Unendlichkeit, doch vielleicht währte der ganze Vorgang auch nur wenige Minuten, oder auch nur so lange, wie die Sonne schien, bevor sie den Horizont erreichte, mir jedoch kam diese Zeit endlos vor. Ich spürte etwas Warmes, Tröstendes aus der Welt und aus meinem Körper hervorquellen. Ich wußte, daß ich ein Geheimnis entdeckt hatte. Es war so einfach. Ich erlebte eine Flut unbekannter Gefühle. Nie im Leben hatte ich eine so göttliche Euphorie, einen solchen Frieden, ein so allumfassendes Begreifen erlebt, und doch konnte ich das offenbarte Geheimnis nicht in Worte, nicht einmal in Gedanken fassen, aber mein Körper wußte es.
    Entweder schlief ich dann ein, oder ich wurde ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf den Steinen. Ich stand auf. Die Welt war so, wie ich sie immer gesehen hatte. Es wurde dunkel, und ich machte mich automatisch auf den Rückweg zum Auto.
    Als ich am nächsten Morgen ankam, war Don Juan allein im Haus. Ich fragte ihn nach Don Genaro, und er sagte, er sei irgendwo in der Nachbarschaft, eine Besorgung machen. Sofort begann ich, ihm von meinen ungewöhnlichen Erlebnissen zu erzählen. Er hörte mit sichtlichem Interesse zu.
    »Ganz einfach, du hast die Welt angehalten«, bemerkte er, nachdem ich meinen Bericht beendet hatte.
    Wir schwiegen einen Augenblick, und dann sagte Don Juan, ich müsse Don Genaro dafür danken, daß er mir geholfen hatte. Er schien ungewöhnlich zufrieden mit mir.
    Wiederholt klopfte er mir auf den Rücken und lachte. »Aber es ist mir unbegreiflich, daß ein Coyote sprechen kann«, sagte ich. »Das war kein Sprechen«, entgegnete Don Juan. »Was war es denn?«
»Dein Körper hat zum erstenmal verstanden. Aber du erkanntest nicht, daß es zum einen kein Coyote war, und daß er zum anderen ganz gewiß nicht so sprach wie wir beide sprechen.«
»Aber der Coyote sprach wirklich, Don Juan.«
»Wer spricht denn jetzt wie ein Idiot. Nach all den Jahren des Lernens solltest du es besser wissen. Gestern hast du die Welt angehalten, und vielleicht hast du sogar
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