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Reine Glückssache

Reine Glückssache

Titel: Reine Glückssache
Autoren: Janet Evanovich
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Kopfhörern und geschlossenen Augen in der Badewanne, die Knie ragten wie sanfthügelige rosa Inseln aus dem Wasser. Ich klopfte an die Fensterscheibe, meine Mutter schlug die Augen auf und fing an zu kreischen. Sie schnappte sich das Handtuch und kreischte eine geschlagene Minute lang ununterbrochen. Schließlich klimperte sie mit den Augen, klappte das Maul zu, zeigte mit ausgestrecktem Finger auf die Badezimmertür und formte mit den Lippen das Wort
verschwinde!
    Ich ließ mich vom Dach hinuntergleiten, stieg die Leiter hinab und schlich mich ins Haus, die Treppe hinauf, gefolgt von Grandma Mazur.
    Meine Mutter hatte sich in der Zwischenzeit ein Handtuch umgeschlungen und erwartete uns bereits an der Badezimmertür. »Was sollte das denn gerade eben? Verflucht noch mal!«, brüllte sie mich an. »Du hast mich zu Tode erschreckt. Scheiße! Hat man denn nicht mal in der Badewanne seine Ruhe?«
    Grandma Mazur und ich standen da, wie vom Donner gerührt, sprachlos, mit offenen Mündern und weit aufgerissenen Augen. Meine Mutter fluchte sonst
nie.
Meine Mutter war sonst immer die praktisch Veranlagte in unserer Familie, der ruhende Pol. Meine Mutter ging sonntags zur Kirche. Meine Mutter sagte niemals Scheiße.
    »Das liegt an den Wechseljahren«, sagte Grandma.
    »Das sind nicht die Wechseljahre«, rief meine Mutter. »Ich befinde mich nicht in der Menopause. Ich will nur eine halbe Stunde meine Ruhe haben. Ist das vielleicht zu viel verlangt? Nur eine halbe Stunde. Scheiße!«
    »Du bist seit anderthalb Stunden im Badezimmer«, sagte Grandma. »Ich dachte, du hättest vielleicht einen Herzinfarkt erlitten. Du hast nicht auf mein Rufen reagiert.«
    »Ich habe dich nicht gehört. Ich habe Musik gehört. Ich hatte Kopfhörer auf.«
    »Wie ich unschwer erkennen kann«, sagte Grandma. »Vielleicht sollte ich das auch mal probieren.«
    Meine Mutter beugte sich vor und sah sich mein T-Shirt genauer an. »Womit hast du dich denn von oben bis unten beschmiert? Das Zeug ist in den Haaren und auf deinem Hemd, und auf deiner Jeans sind dicke Fettflecken. Sieht aus wie … Vaseline.«
    »Ich war gerade dabei, jemanden festzunehmen, als Grandma anrief.«
    Meine Mutter verdrehte die Augen an die Decke. »Erspar mir die Details. Bitte. Und denk daran, deine Wäsche unbedingt einzuweichen, wenn du nach Hause kommst, sonst kriegst du das Zeug niemals raus.«
    Zehn Minuten später stieß ich die Eingangstür zu Vinnies Büro auf. Connie Rosolli, Vinnies Büroleiterin und Wachhund, saß an ihrem Schreibtisch und las Zeitung. Connie war ein paar Jahre älter als ich, einige Zentimeter kleiner, und ihr BH-Größe übertraf meine um drei Nummern. Sie trug einen knallroten Pullover mit V-Ausschnitt, der tiefen Einblick gewährte. Fingernägel und Lippen passten farblich zum Pullover.
    Die beiden Stühle vor Connies Schreibtisch nahmen zwei Frauen ein. Sie hatten einen dunklen Teint und trugen traditionelle indische Kleidung. Die Ältere der beiden hatte noch eine Kleidernummer mehr Umfang als Lula. Lula ist stabil gebaut, wie eine Riesenbratwurst. Die Frau, die Connie gegenübersaß, war eine einzige schwabbelige Masse, mit Speckwülsten, die sich kaskadenartig zwischen dem Trägerhemdchen und dem langen Sari ergossen. Das schwarze Haar, hier und da von grauen Strähnen durchzogen, war hinten zu einem Knoten zusammengebunden. Die Jüngere war schlank, vermutlich etwas jünger als ich, vielleicht Ende zwanzig. Beide hockten vorne auf der Stuhlkante, die gefalteten Hände in den Schoß gelegt.
    »Es gibt Ärger«, sagte Connie. »In der Zeitung von heute steht ein Artikel über Vinnie.«
    »Doch nicht wieder darüber, dass er es mit einer Ente getrieben hat, oder?«, fragte ich.
    »Es geht um die Visumskaution, die Vinnie für Samuel Singh ausgestellt hat. Singh hält sich hier mit einer dreimonatigen Arbeitserlaubnis auf, und Vinnie bürgt dafür, dass Singh nach Ablauf des Visums das Land wieder verlässt. Visumskautionen sind neu, deswegen macht die Zeitung so ein Tamtam darum.«
    Connie reichte mir die Zeitung, und ich sah mir das Foto an, das zu dem Beitrag gehörte. Zwei verschlagen wirkende, schlanke junge Männer mit nach hinten gekämmten schwarzen Haaren. Die beiden lachten. Singh stammte aus Indien, seine Hautfarbe war etwas dunkler, seine Statur zierlicher als Vinnies. Die beiden sahen aus, als würden sie regelmäßig alte Damen um ihre Ersparnisse bringen. Im Hintergrund, hinter Vinnie und Singh, standen zwei indische Frauen.
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