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Rechtsdruck

Rechtsdruck

Titel: Rechtsdruck
Autoren: Matthias P. Gibert
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Dorfes lag.
Das Hoflicht, das seine Mutter brennen ließ, wenn ihr Sohn nicht zu Hause war, tauchte
diffus im dichter werdenden Schneegestöber auf und wies ihm die letzten 200 Meter.
Schwer atmend und noch schwerer torkelnd verließ er den geteerten Feldweg und bog
auf das letzte Stück bis zum Haus ein. Er sah nicht, wie sich aus dem Schatten des
alten Bauwagens, in dem er im Sommer manchmal nächtigte, mehrere dunkel gekleidete
Gestalten lösten und langsam hinter ihm herkamen. In den Händen hielten sie Baseballschläger,
und ihre Gesichter hatten sie mit über die Nase gezogenen Halstüchern vermummt.
     
    Der erste Schlag, der ihn mit voller Wucht im Rücken traf, warf ihn
nach vorne und sorgte dafür, dass er auf die Knie stürzte. Dann kam einer der Männer,
die ihm aufgelauert hatten, langsam um ihn herum, und leuchtete mit einer Taschenlampe
direkt in seine Augen.
    »Was?«, röchelte Schmitt, doch schon erwischte ihn der nächste Schlag,
diesmal mitten im Gesicht. Sein linkes Jochbein platzte wie eine reife Melone.
    Stöhnend und mit Sternen vor den Augen fiel der Glatzkopf zur Seite
und zog dabei instinktiv die Arme über den Kopf. Seine Peiniger bauten sich im Halbkreis
um ihn herum auf und schwangen drohend die Baseballschläger. Der offensichtliche
Anführer der Vermummten hob den Arm, machte eine kurze Geste und gab damit vermutlich
das Startzeichen. Seine Aluminiumkeule surrte durch die Luft und traf Schmitt am
Oberschenkel. Im Anschluss schlug reihum jeder der Männer zu. Einmal, zweimal und
immer und immer wieder. Sie zielten nicht auf den Kopf, sondern auf die Arme, die
Beine, die Füße und den Rücken. Dann hob der Mann, der zuerst geschlagen hatte,
wieder den Arm und deutete mit dem Schläger in Richtung des kleinen Dorfes. Sein
Kopfnicken in diesem Moment bedeutete wohl, dass die Aktion zu Ende war.
     
    *
     
    Gerold Schmitt fror erbärmlich. Der wuchtige Mann zitterte am ganzen
Körper, und das Blut, das ihm in den Kragen gelaufen war, fühlte sich an wie tiefgefroren.
Er versuchte, sich aufzurichten, doch es war unmöglich. Mit ungelenken Bewegungen
tastete er seinen Kopf ab, aber bis auf die Delle an der Partie unter dem linken
Auge schien dort nichts verletzt zu sein. Trotzdem kam es ihm vor, als sei sein
Schädel in zwei Teile gespalten.
    Sein Blick blieb an dem diffusen Hoflicht hängen, das er gleich zweimal
sehen konnte.
    »Scheiße«, fluchte er leise, bevor er sich übergab.
    Die nächsten Minuten verbrachte er damit, nur durch die Kraft seiner
Unterarme Zentimeter um Zentimeter in Richtung der Lichtquelle zu kriechen, wobei
er alle 10 oder 15 Sekunden eine längere Pause einlegen musste. Wieder und wieder
übergab er sich, und er hatte dabei Angst, an seiner eigenen Kotze zu ersticken.
Der Weg kam ihm endlos vor, und die Schmerzwellen, die in immer kürzeren Abständen
durch seinen Körper rasten, hielten ihn ständig an der Grenze zur Bewusstlosigkeit.
    Sein in einem merkwürdigen Winkel vom Körper abstehendes rechtes Bein
gab beim Nachziehen ein knirschendes Geräusch von sich, das er nicht einordnen konnte.
    Gefühlte Stunden später hatte er den gepflasterten Hof erreicht und
ließ seinen blutenden Kopf in den frischen Schnee sinken. Dann schaltete jemand,
der es offensichtlich gut mit ihm meinte, den Strom in seinem Gehirn ab.

3
     
    Kassel, ein paar Tage später.
     
    »Wir müssen los, Maria«, rief Hauptkommissar Paul Lenz. »Es ist 11:30
Uhr.«
    »Bin gleich so weit. Nur noch ein bisschen Lippenstift, dann bin ich
vorzeigbar.« Sie stand vor dem Spiegel im Badezimmer und verzog den Mund in einer
Art, wie es nur Frauen und zu dieser Gelegenheit konnten.
    »Aber du bist doch immer vorzeigbar«, unternahm er einen hoffnungslosen
Versuch, sie aus dem Badezimmer zu lotsen.
    »Und du musst dir keine Mühe geben«, erwiderte sie grinsend in seine
Richtung, »weil du genau weißt, dass ich erst das Haus verlasse, wenn ich mit mir
und meinem Äußeren restlos zufrieden bin.« Sie drehte sich wieder dem Spiegel zu.
    »Das nennt man übrigens Eitelkeit.«
    Ein paar Sekunden später trat sie mit in die Hüften gestützten Händen
auf den Flur und sah ihn herausfordernd an. »Und, zufrieden?«
    Er ging auf sie zu und legte seine Hand zärtlich in ihren Nacken. »Mehr
als das, und das weißt du auch.«
    »Schön. Dann steht unserer Abfahrt ja nichts mehr im Weg.« Sie schmiegte
sich an ihn.
    »Immerhin ist es unser erster gesellschaftlicher Auftritt als Liebespaar.
Da will ich mich
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