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Rechtsdruck

Rechtsdruck

Titel: Rechtsdruck
Autoren: Matthias P. Gibert
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einfach wohl fühlen mit mir. Und mit dir natürlich«, fügte sie
schnell hinzu.
     
    Eine knappe halbe Stunde später stand das nicht mehr sehr geheime Liebespaar
Zeislinger/Lenz am unteren Ende der Rathaustreppe. Beide sahen nach oben und dann
jeweils zum anderen.
    »Bist du bereit, dem Feind ins Auge zu blicken?«, fragte Maria grinsend.
    »Bin ich«, erwiderte Lenz zackig. »Soll ich dich hinauftragen?«
    »Untersteh dich. Ich hake mich bei dir unter und los geht’s.« Sie schob
ihren linken Arm unter seinen rechten und setzte sich in Bewegung.
    »Verdammt, ist das wieder kalt geworden«, stellte sie fest, nachdem
sie etwa die Hälfte der Stufen hinter sich gebracht hatten.
    »Stimmt. Ich hätte lieber den dicken Mantel anziehen sollen.« Er sah
mitleidig in ihre Richtung. »Aber in deinem Fummel möchte ich noch viel weniger
stecken.«
    »Wer schön sein will, muss leiden«, gab sie ungerührt zurück und beschleunigte
ihre Schritte. Hinter den prunkvollen Rathaustüren erkannte sie das Gesicht von
Judy Stoddart und winkte aufgeregt. Die Amerikanerin hielt ihnen die Tür auf, drückte
zuerst Maria und danach den Kommissar fest an sich und holte dann tief Luft.
    »Ich habe schon gedacht, ihr würdet vielleicht doch noch kneifen«,
erklärte sie.
    »Spinnst du?«, gab Maria mit gespielter Empörung zurück. »Die einmalige
Gelegenheit, im Arbeitsbunker meines hoffentlich baldigen Exmannes der Hochzeit
meiner besten Freundin beizuwohnen, noch dazu als Trauzeugin, würde ich mir niemals
entgehen lassen. Aber das weißt du doch ganz genau.«
    Von der Seite näherte sich Judy Stoddarts zukünftiger Gatte Robert
Fricker, ein amerikanischer Pilot im Ruhestand. Die beiden hatten sich während Judys
letztem Aufenthalt in ihrem Ferienhaus in Maine kennen- und lieben gelernt und waren
seitdem unzertrennlich. Fricker hatte danach die meiste Zeit in Kassel verbracht
und war richtiggehend angetan von der nordhessischen Metropole, die so ganz anders
war als sein bisheriger Lebensmittelpunkt Newark in der Nähe von New York City.
    »Und, Robert, bist du so weit?«, fragte Judy auf Englisch.
    »Sprich doch endlich deutsch mit mir«, forderte Fricker, der seit seinem
ersten Besuch in Kassel ebenso begeistert wie erfolgreich mehrere Sprachkurse belegt
hatte, von ihr. »Immer Englisch, Englisch, Englisch«, beschwerte er sich bei Lenz
und Maria, die nur mit den Schultern zucken konnten. »Ich will hier in diesem Land
leben, also will ich auch die Sprache sprechen können«, fuhr der Amerikaner fast
akzentfrei fort.
    »Gib ihr noch ein klein bisschen Zeit«, wurde er von Lenz beschwichtigt,
der dabei auf seine Uhr sah. »In gut 20 Minuten bist du eh der Boss und kannst einfach
festlegen, in welcher Sprache ihr euch unterhalten müsst.«
    Maria stieß ihm ihren Ellenbogen in die Seite. »Machoarsch.«
    Judy Stoddart hatte glücklicherweise nicht zugehört, weil sie noch
einmal die notwendigen Unterlagen durchgesehen hatte.
    »Wir hätten doch nach Vegas gehen sollen, Darling«, resümierte sie
mit Blick auf den Stapel Papiere in ihrer Hand auf Deutsch.
    »Niemals«, widersprach der ehemalige Pilot, der nach einem leichten
Herzinfarkt seinen aktiven Dienst als 747-Kapitän hatte quittieren müssen. »Diesen
Wahnsinn habe ich einmal mitgemacht, aber nie mehr wieder.«
    »Ich glaube, es wird Zeit, nach oben zu gehen«, warf Maria ein. »Nicht,
dass ihr euren Termin noch verpasst.«
    Das Brautpaar nickte.
    20 Minuten und eine nüchterne deutsche Eheschließungszeremonie später
standen die vier inmitten einer Menschentraube auf dem Flur des Rathauses und grinsten
um die Wette. Obwohl Judy erst für den Abend zu einer offiziellen Feier geladen
hatte, waren mindestens 40 Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen der Amerikanerin
gekommen, die gratulieren und mit ihr und ihrem neuen Ehemann anstoßen wollten.
Lenz und Maria traten ein wenig zur Seite, um nicht im Weg zu stehen. Und genau
in diesem Augenblick tauchte das dunkelrote Bluthochdruckgesicht von Erich Zeislinger
am unteren Ende der Treppe auf, die in den zweiten Stock führte. Der Hauptkommissar
drehte sich zur Seite und wollte Maria mit sich ziehen, doch die hatte ihren Noch-Ehegatten
ebenfalls gesehen und dabei die Augen zu kleinen, feindselig aussehenden Schlitzen
verengt.
    »Das glaube ich jetzt nicht!«, zischte sie.
    Lenz verstärkte seinen sanften Druck auf ihren Arm, doch sie wollte
sich offensichtlich nicht bewegen. Zeislinger marschierte mit breitem Grinsen
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