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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Claas fuhr sehr dicht auf den Wagen vor ihnen auf, ein Teddybär klebte mit Saugnäpfen an der Heckscheibe, sie konnte lesen, was auf dem rosa Plüschbauch stand: Mein Schatz . Sie holte das Telefon aus der Tasche, drückte auf Wahlwiederholung, zählte die Freizeichen.
    »Warum, meinst du, ist sie nach Portugal«, fragte sie schließlich.
    Claas blinkte, fuhr auf die Zufahrt der Stadtautobahn, ordnete sich ein, Richtung Charlottenburg, nicht zur Praxis.
    »Ich habe gerade andere Probleme«, antwortete er.
    *
    Claas ging ins Schlafzimmer, das Bett war nicht gemacht, der Wecker fehlte, stand auf der Fensterbank neben der Matratze in der Wohnung und roch nach Rauch. Scharf und stechend, wie die Matratze, sein Stuhl, die Wände, Treppen, Tapeten, das Haus.
    Er atmete tief ein, fühlte, wie sich seine Lunge mit Luft füllte, die nicht aschedurchsetzt war, ohne Partikel aus verkohltem Holz, verschmortem Kunststoff, Papier und dem, was in einem Sack an ihnen vorbeigefahren worden war.
    Er hörte Theresa in der Küche, ihre Schuhe auf den Terrakottafliesen, ließ sich rückwärts aufs Bett fallen, Arme ausgebreitet. Ein Schwall Luft wurde aus dem Bettzeug gedrückt, als das Gewicht seines Körpers die Decken zusammenstauchte, er roch nach Weichspüler. Claas hob die Hände vors Gesicht, die Finger scharf und stechend, sein Pulloverärmel, er drückte die Nase hinein. Partikel hingen darin, verkohlt in einem Sack, in den Stofffasern, auf seiner Haut, in den Nasenschleimhäuten. Er sah zum Nachtschrank, keine Taschentücher, richtete sich auf, legte sich sogleich wieder auf die Matratze zurück, hörte Theresas Schritte im Flur, sie kamen auf ihn zu, er schloss die Augen. Sie stoppte kurz, als sie ins Schlafzimmer kam, die Matratze bewegte sich, sank ein neben ihm. Theresa hatte sich hingelegt, noch mehr Rauch, gemischt mit Parfum, Opium. Claas sah zur Seite, sie trug noch immer ihren Mantel, seinen hatte er im Esszimmer fallen lassen, hatte im Rausgehen gehört, wie Theresa innegehalten, ihn aufgehoben hatte. Ihre Augen offen, sie blickte zur Decke, wandte ihm nicht das Gesicht zu. Er wartete. Dass sie etwas sagen würde, der Heizlüfter, meinst du, es war der Lüfter. Ihre Haare neben ihr auf dem Kissen, Shampoo gemischt mit Stechendem.
    »Wir müssen duschen«, sagte er.
    Theresa nickte, als er aufstand.
    Claas beeilte sich nicht, ließ ihr Zeit, ging langsam zur Tür, sie blieb stumm, die wenigen Schritte durch den Flur. Vor dem Bad wandte er sich um, sie hatte die Arme gehoben, ihre Ellbogen ragten in spitzen Winkeln auf, die Handflächen bedeckten ihr Gesicht. Er schloss hinter sich ab, das tat er sonst nicht. Putzte seine Nase, schwarze Schlieren im Rotz, auf dem Rosa des Klopapiers. Er wusch seine Haare zwei Mal, der Schaum roch nach Rauch, der Wasserdampf, seifte sich wieder und wieder ein. Seine Haut war aufgequollen, als er beschloss, dass es gut sei, die Poren offen, die Partikel aus ihnen herausgespült.
    Die Schlafzimmervorhänge waren zugezogen, als er zurückkam, Theresas Kleidung lag auf dem Fußboden vor dem Bett. Claas nahm einen sauberen Schlafanzug aus dem Schrank, zog ihn an, den Bademantel drüber, dicke Wollsocken über die Füße, ihm war kalt. Er sammelte ihre Bluse, Hose, die Socken ein, ging ins Esszimmer, öffnete die Balkontür und warf sie hinaus, in den Schnee. Holte seine Kleidung aus dem Bad und tat sie dazu.
    Theresa war im Wohnzimmer, saß auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, Knie angewinkelt, dort, wo sonst das Sofa stand. Sie trug ihren Morgenmantel, hielt den Cognacschwenker in der Hand, mundgeblasen, groß wie ein Kindskopf, zwei Finger hoch braune Flüssigkeit darin, Claas meinte, Brandy zu riechen.
    »An dir ist nicht alles falsch«, sagte sie in den Telefonhörer in ihrer anderen Hand, »das habe ich nie gesagt.« Er lehnte sich an den Türrahmen, Theresa sah nicht auf, betrachtete weiter ihre Knie. »Kindergärtnerin war dein Vorschlag«, Theresa richtete sich auf, drückte den Rücken durch, stellte das Glas neben sich. »Gut, vielleicht war das unser Vorschlag«, sie lehnte sich wieder zurück, »aber du hast ›ja‹ gesagt. Wir haben dich nicht gezwungen, du hättest auch was anderes machen können.« Claas stieß sich vom Türrahmen ab, ging auf sie zu, meinte ihre Haare zu riechen, scharf und stechend, blieb vor ihren Füßen stehen. Ihr Scheitel, ein Streifen heller Haut zwischen all dem glatten Schwarz, beschrieb einen Halbkreis, als sie den Kopf schüttelte.
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