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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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mit dem verbrannten Toten und der in Portugal wiedergefundenen Tochter. Mein Mann möchte die Wohnung nicht verlassen. – Ist Ihr Mann gewalttätig geworden? – Ja, er kauft.
    Sie schaltete die Nachttischlampe ein. »Ruf die Versicherung an«, hatte sie gesagt, »und die Bauaufsicht wegen der Statikprüfung.« – »Der Ordner mit der Versicherungspolice ist in der Wohnung«, hatte er geantwortet. Sie könnte die Tür abschließen, wenn er ihn holen fuhr. Den Schlüssel von innen stecken lassen, die Schlafzimmertür schließen, den Fernseher laut stellen. Claas würde wahrscheinlich den Schlüsseldienst rufen, plötzlich vor dem Bett stehen, »und ich?« brüllen.
    Theresa hatte zu ihm rübergesehen, seine Haare standen vom Kopf ab, viel Haut war zu sehen, sehr hell an der Stirn, über den Ohren, in seinem Nacken. »Ich muss die Nummer raussuchen«, seine Lider waren gerötet, er hatte sie gerade mit den Handflächen gerieben, sah Theresa an, sah ihr ins Gesicht. An die Blechautos musste sie denken. Deng, Deng, Deng. »Ich habe meine Kindheit auf der Fensterbank verbracht«, hatte er vor Jahren mal gesagt, »draußen Nieselregen, gegenüber die rot-weiß gestreifte Markise des Obstladens, Algen sind darauf gewachsen. Ich war sicher, ich würde ewig dort sitzen.«
    Theresa hatte die Hand ausgestreckt, unbestimmt in seine Richtung, wünschte, er hätte ewig dort gesessen. Sicher verwahrt, dann müsste sie nun keine Angst um ihn haben. Er hatte ihre Hand nicht einmal angesehen, hatte sich abgewandt.
    »Hast du Hunger«, hatte sie irgendwann gefragt, die Vorhänge noch immer zugezogen. Claas hatte genickt. Sein Gesicht verlor den Halt, die Mundwinkel rutschten nach unten, seine Augenlider pressten sich zusammen. Das Weinen war stückweise gekommen, krampfartig, klagend, ließ seinen Kopf, seinen Brustkorb hüpfen, zusammensinken, hüpfen. Sie schlang die Arme um ihn, um seinen Oberkörper, wollte ihn stillhalten, dass er zu hüpfen aufhörte, er hatte seine Stirn an ihr Brustbein gelegt, ihr Nachthemd wurde nass.
    »Ich hol uns was zu essen«, hatte sie gesagt, nachdem Claas wieder ruhig geworden war. Theresa war in die Küche gegangen, hatte die Badezimmertür hinter sich gehört, das Schnauben, mit dem er die Nase putzte. Hatte den Kühlschrank geöffnet, lange dort gestanden, die kalte Luft gefühlt. Als der Kühlschrankmotor ansprang, hatte sie die Aufschnittpakete aus den Fächern geholt, Ziegenkäse, Salami. Die Butterdose, hatte alles auf ein Tablett gestapelt. Brot aufgeschnitten, zwei Teller aus dem Schrank genommen, Besteck, in der Kammer fand sie ein Glas mit Kirschkapern, Oliven.
    Sie hatte die Vorhänge nicht aufgezogen, der Lichtkegel der Nachttischlampe begrenzte die Welt auf überschaubare Hügel aus weißer Bettwäsche, denen man ansah, dass sie nach dem Waschen gebügelt worden waren. Sie hatte ihm seinen Teller gereicht, den Fernseher angeschaltet.
    Am nächsten Morgen, O Gott, es ist Samstag, hatte sie beim Aufwachen gedacht, er muss nicht in die Praxis, saß Claas neben ihr im Bett. »Ich brauche die Ordner«, hatte er gesagt, sobald sie sich bewegte. Seine Stimme fest, klang, als wäre er schon lange wach, »ich fahr sie holen.« Holen, er hatte also vor, wiederzukommen. »Der Schlüssel«, hatte er gefragt. Erst hatte Theresa nicht verstanden, »der Autoschlüssel«, er klang ungeduldig. »In meiner Manteltasche«, hatte sie geantwortet, plötzlich Angst bekommen. »Fass nichts an«, hatte sie gesagt, »geh bloß nicht in die Wohnung im Erdgeschoss.« Genickt hatte er.
    Wenige Tage später hatte sein Wecker einfach wieder auf dem Nachtschrank gestanden, morgens lag die Zeitung im Briefkasten. Sie hatte nichts gesagt. Am nächsten Sonntag hatte Claas sie von den Klausuren hochgeschreckt. Theresa hatte auf dem Bett gedöst, ein Stapel Arbeiten neben sich, als irgendwas laut über den Boden schrammte. Es klang, als würden Möbel geschoben, einen Moment war es still, dann schlug irgendetwas dumpf auf den Dielen auf. »Scheiße«, hatte sie Claas rufen hören. Sie war aufgestanden, ins Wohnzimmer gelaufen, er stand vor der Tür des Arbeitszimmers und zerrte am Sofa, die Lehne war irgendwo verkeilt. »Hol eine Decke«, hatte Claas gesagt, als er sie sah. Die Decke hatten sie unter den Rahmen geschoben, gemeinsam das Sofa ins Wohnzimmer gezogen, hatten schweigend das Arbeitszimmer aufgeräumt. Und dann hatte die Polizei angerufen und gesagt, er wäre gar nicht verbrannt. Theresa war ans Telefon
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