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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Frosties-Packung verdeckt. Er musste vor ihr an seinem Schreibtisch sein, einen Stift nehmen, ein Stück Papier, zog im Vorbeigehen die Badezimmertür zu, damit sie die Wäsche in der Dusche nicht sah.
    Erst fielen ihm keine Zahlen ein, schließlich schrieb er 24 031 980 , das war ihr Geburtsdatum, es sah richtig aus, als könne man dort anrufen. Sie sind vor Kurzem umgezogen, mit dem Büro, würde er sagen, vielleicht haben sie eine neue Nummer. Ich darf das, würde er sagen, wenn sie nach dem Außenposten fragte.
    Die Polizistin stand noch immer im Flur, vor der Wohnzimmertür, betrachtete die Alienhaut, hob sie ein wenig an, besah den Nagel, mit dem Lucas sie befestigt hatte. Er wartete, ob sie schimpfen würde, war nicht sicher, ob man Nägel in Türen schlagen durfte, doch sie fragte, »was ist das?«
    »Hab ich gefunden«, antwortete er, »lag unterm Sofa, hab’s dann aufgehängt.«
    »Und deine Mutter war einverstanden?«
    »Hat nichts gesagt.«
    Das war nicht gelogen, die Polizei belügen war verboten.
    ***
    Theresa konnte nicht Nein sagen, Claas fragte auch gar nicht, stellte sich vor die Fahrertür und streckte stumm eine Hand in ihre Richtung aus. Sie suchte in ihrer Tasche, der Flugplan steckte im Seitenfach, mittig war ein Schuhabdruck darauf zu sehen. Ebba musste auf das Blatt getreten sein, als sie die Wohnung verlassen hatte. Theresa legte den Schlüssel in Claas’ Handfläche, wartete, dass er die Zentralverriegelung löste.
    Beigefarben war der Heizlüfter gewesen, ein quadratischer Kasten mit Ventilatorflügeln hinter dünnen Drahtstäben. Ein Toter. Mit einem silberfarbenen Schild vorne, in das der Herstellername eingraviert war. Ein Toter, hatten sie gesagt, nie eine Tote, das war also noch zu erkennen gewesen. Neben den Lüftungsschlitzen klebte ein roter Aufkleber mit einem Schädel über gekreuzten Knochen. Nicht Abdecken! stand dort und darunter Brandgefahr! . Der Tote hatte in einem grauen Kunststoffsack gelegen, Sanitäter hatten ihn auf einer Bahre hinausgeschoben, an ihnen vorbei.
    Letzte Woche hatte sie Claas den Heizlüfter hingehalten, nachdem er ihr die Tür geöffnet hatte. Er hatte unten im Hausflur auf sie gewartet, Schneeflocken hatten sich auf ihren Scheitel gesetzt, waren dort geschmolzen, kalte Flüssigkeit auf ihrer Haut.
    Es brannte nicht mehr, als Theresa angekommen war. Ein Feuerwehrmann war mit ihnen in Ebbas Wohnung gegangen, die Wohnung war leer gewesen, Geschirr überall, Wäsche, der Flugplan hatte im Flur gelegen, gestern war sie geflogen, um zwanzig vor drei nach Faro. Sie waren wieder runtergegangen, hatten sich auf den Gehsteig vor die scheibenlosen Fenster gestellt, Theresa hatte ihr Telefon in der Hand gehalten, in Tavira anrufen wollen, scheiß auf die Gebühren, hatte sie gedacht. Die Umstehenden sagten ständig das Wort »Toter«, es hatte gedauert, bis sie kapierte, dass sie nicht allgemein von einem Toten sprachen, sondern von dem, was an Claas und ihr vorbeigeschoben worden war.
    Als Claas letzte Woche den Heizlüfter nicht genommen hatte, hatte sie ihn gegen seinen Bauch gepresst, »jetzt mach schon« gesagt. Claas hatte nicht zugegriffen, der Lüfter war auf seine Zehen gefallen, auf die Schwelle. Er hatte keine Socken in den schwarzen Lederschuhen getragen, aufgeschrien. Hatte sich nach dem Lüfter gebückt, ihn aufgehoben, den Schnee von der Rückseite gewischt. »Zwei Patienten«, war das Erste, was er überhaupt sagte, »nicht mal abrechnen kann ich die, zu kurzfristig.«
    Schnee konnte durch die Schlitze ins Innere gelangt und dort geschmolzen sein. Vielleicht hatte sich eine Sicherung gelöst, war ein Stück Plastik durch den Aufschlag abgebrochen, ein Draht gerissen. »Tut mir leid«, hatte sie gesagt. »Scheiße«, war seine Antwort gewesen.
    Fahrlässige Tötung, dachte sie, wenn es gut läuft, grob fahrlässig, hart an der Grenze zum Totschlag. Dazu noch ein Brandstiftungsdelikt. Körperverletzung hinsichtlich der anderen Bewohner. Zwei Jahre, dachte sie, mindestens, zur Bewährung, wenn Claas bei der Verhandlung die Klappe hielt. Vorbestraft, er würde die Zulassung verlieren, Theresa sah ihn vor sich, Jobanzeigen durchgehend, stumm geworden nach den Bewerbungsgesprächen, auf den Plastikstühlen eines Wartezimmers, Anträge und eine Nummer in der Hand, die erst nach Stunden aufgerufen würde.
    Sie sah zu ihm herüber, Claas blickte auf die Straße, sie wollte der Heizlüfter sagen, meinst du, es war der Lüfter? Ein Toter. Theresa schwieg.
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